: Johanna Adorján
: Ciao Roman
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462303506
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Johanna Adorján entwirft mit »Ciao« eine Gesellschaftssatire, die extrem komisch ist und gleichzeitig ernsthaft gegenwärtig. Ist der Untergang des alten weißen Mannes beschlossene Sache oder sollte man mit dieser Spezies doch gnädig sein? Hans Benedek, einst ein gefragter Feuilletonist, hat seinen Bedeutungsverlust selbst noch gar nicht realisiert. Er wähnt sich weiterhin als Mann von beträchtlichem Einfluss, aber die Zeichen mehren sich, dass sich etwas verändert hat. Seine ständigen Affären mit Praktikantinnen sind nicht mehr so unbeschwert wie noch vor einigen Jahren. Seine Tochter beschimpft ihn als Mörder, da er immer noch Bacon zum Frühstück isst. Als seine Frau ihn auf die Idee bringt, ein Portrait über die gefragteste junge Feministin des Landes zu schreiben, wittert Hans seine Chance. Doch die Begegnung mit ihr wird Hans in einen Abgrund von bisher ungekannter Tiefe stürzen. Ein Roman über Menschen, über die die Zeit hinweggegangen ist. Über Leute von gestern im heutigen Leben. Übers Älterwerden. Und ein bisschen auch über die Liebe.

Johanna Adorján, geboren 1971 in Stockholm, wuchs in München auf und studierte Theater- und Opernregie. Seit 1994 arbeitet sie als Journalistin, ab 2001 fürs Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, heute für die Süddeutsche Zeitung. Ihr erstes Buch, der Bestseller »Eine exklusive Liebe«, erschien 2009 und wurde in 16 Sprachen übersetzt. 2013 folgte der Erzählungsband »Meine 500 besten Freunde«, 2016 ihr Roman »Geteiltes Vergnügen«, 2019 ihr Buch »Männer«. Johanna Adorján lebt in Berlin.
Inhaltsverzeichnis

4


»Sagt dir Xandi Lochner etwas?«

Hans hatte eigentlich warten wollen bis zum Espresso, aber jetzt platzte er doch schon vor dem Bestellen damit heraus.

»Ach«, sagte Lothar Herzig, ohne von der Karte aufzusehen, »heute gibt es veganes Curry als Mittagsgericht. Was ist mit Xandi Lochner?«

»Ich schreib was über die.«

»Oh nee, das ist mit Koriander, ich hasse Koriander.«

Er hatte sich Lothar Herzigs Reaktion euphorischer vorgestellt.

»Meine Frau war gestern Abend mit ihr essen …«

»Oder doch wieder Caesar Salad …« Herzig sah immer noch in die Karte. Er hatte jeden Fingernagel in einem anderen Pastellton lackiert, aber nur an einer Hand.

»… das war wohl sehr nett.«

»Hm.«

Hans tat auch so, als wäre er in die Karte vertieft, konnte sich jedoch nicht konzentrieren. Henriette hatte beim Frühstück versucht zu erklären, warum der Abend so katastrophal verlaufen sei, aber Hans hatte es nicht verstanden. Es war ja nicht so schlimm, nicht einer Meinung zu sein, Henriette zufolge aber doch. Dennoch hatte ihm Henriette Xandi Lochners Handynummer gegeben. Hans hatte sie noch vor der Konferenz angerufen, aber sie war nicht drangegangen. Dann hatte er per Mail ein Interview über ihre Agentur angefragt. Fünf Minuten später hatte Xandi Lochner persönlich ihm per Mail geantwortet: »Bin available. Wann?« Morgen würde er sie treffen. In Baden-Baden, wo sie bei »Ois Bonanza?« zu Gast sein würde, Michi Denningers legendärer Fernseh-Rateshow, die Hans schon als Junge geguckt hatte. Er hatte nicht gewusst, dass es sie noch gab. Es gab sie wohl auch nicht mehr, sondern wieder. Eine Neuauflage, die auf einem Sender lief, von dem er noch nie gehört hatte, vielleicht war es auch nur ein Online-Streaming-Portal, das musste er erst noch recherchieren. Jedenfalls würde er morgen also nicht nur Xandi Lochner kennenlernen, sondern womöglich auch Michi Denninger. Den Michi Denninger, dessen Begrüßungsformel – Ois Bonanza? – zu einem geflügelten Wort geworden war, das allerdings jüngeren Leuten heute nichts mehr sagte. Oder?

»Sagt dir ›Ois Bonanza?‹ was?«

Lothar sah von der Karte auf, setzte den »Come on«-Gesichtsausdruck auf, den sich alle bei amerikanischen Comedians abgeschaut hatten, und summte die Titelmelodie.

Hans summte mit. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Er vor dem Fernseher, die Füße im selben flauschigen blauen Stoff steckend wie der Rest seines von der Badewanne noch heißen Körpers:Onesie sagte man heute dazu, damals hatte manSleeper gesagt, er hatte ewig gedacht, man schreibe esSliepa, vermutlich würden die Kinder von heute in ein paar JahrenWonnsie schreiben. Ein Glas warme Milch mit Honig vor ihm auf dem Glastisch, er im Schneidersitz, das Kinn auf die kalte Platte gestützt. In seiner Erinnerung hörte er seine Mutter in der Küche hantieren und fühlte seinen Vater, den er nicht sah, im Rücken mit seiner ganzen Respekt einflößenden Präsenz. Henriette hatte neulich irgendwo gelesen, dass Männer in leitenden Berufen nie aufhörten, Männer in einem leitenden Beruf zu sein. Dass ein Chef nie sein Verhalten der Umgebung anpasste, weil er nicht musste, es wurde nicht von ihm erwartet, anders als etwa von einer Chefin, die abends zu Hause vielleicht Mutter war oder mit Freundinnen Freundin. Und es stimmte, sein Vater war überall und immer Chef gewesen. Tagsüber in seinem Architekturbüro, das er gegrün