: Daniel Glattauer
: Ewig Dein Roman
: Deuticke im Paul Zsolnay Verlag
: 9783552061910
: 1
: CHF 7.20
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Im Supermarkt lernt Judith, Mitte dreißig und Single, Hannes kennen. Kurz darauf taucht er in dem edlen kleinen Lampengeschäft auf, das Judith, unterstützt von ihrem Lehrmädchen Bianca, führt. Hannes, Architekt, ledig und in den besten Jahren, ist nicht nur der Traum aller Schwiegermütter - auch Judiths Freunde sind restlos begeistert. Am Anfang empfindet Judith die Liebe, die er ihr entgegenbringt, als Genuss. Doch schon bald fühlt sie sich durch seine intensive Zuwendung erdrückt und eingesperrt. All ihre Versuche, ihn wieder aus ihrem Leben zu kriegen, scheitern - er verfolgt sie sogar bis in ihre Träume ...

Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, Autor und ehemals Journalist. Bücher (u.a.): Die Ameisenzählung (2001), Darum (2003), Die Vögel brüllen (2004), Der Weihnachtshund (Neuausgabe 2004), Theo. Antworten aus dem Kinderzimmer (2010). Mit seinen beiden Romanen, Gut gegen Nordwind (2006) und Alle sieben Wellen (2009), gelangen ihm zwei Bestseller, die in zahlreiche Sprachen übersetzt und auch als Hörspiel, Theaterstück und Hörbuch zum Erfolg wurden. Im Deuticke Verlag sind auch die Romane Ewig Dein (2012) und Geschenkt (2014) sowie die Komödie Die Wunderübung (2014) erschienen. Im Herbst 2018 folgt sein neues Theaterstück Vier Stern Stunden.

Phase zwei


1.


Auf Judiths kleiner Dachterrasse blühte erstmals nach drei Jahren wieder das Hibiskus-Bäumchen, knallrot. Das waren gute Wochen. Es war etwas im Entstehen. Es entstand täglich neu und nahm alles eben erst Entstandene mit. Judith versuchte, die Anzahl der Begegnungen mit Hannes so gering wie möglich zu halten, also nicht fünfmal am Tag, was in seinem Sinne gewesen wäre, sondern nur ein- oder zweimal. Sie hatte Angst, der Reiz könnte für ihn verlorengehen, er hätte sich bald sattgesehen an ihr, ihren Drehbewegungen und Gesichtsausdrücken, Angst, er wüsste nicht mehr, welche Blumen er ihr noch schenken, welche Botschaft in Briefchen- oder E-Mail-Form er ihr noch zukommen lassen, welches Kompliment er ihr noch machen sollte und mit welchen Worten er ihr per SMS noch »guten Morgen« oder »gute Nacht« wünschen könnte.

Judith fand sich in einer neuen Situation. Nicht sie war es, die sich wieder einmal mehr von einem Mann erwartete, als dieser schon im Ansatz zu geben bereit oder fähig zu sein schien. Nein, da war nun ein Mann, der es offensichtlich nicht erwarten konnte, ihre Erwartungen zu erfüllen. Nun schraubte sie diese ihre Erwartungen so weit wie möglich herunter, damit der Vorrat seiner Erfüllungen noch lange reichen würde. Mit etwas Glück konnte sie damit erfüllt über den Sommer gelangen. Erfüllt von Hannes Bergtaler: 1,90 groß, 85 Kilo schwer, wuchtig, ungelenk, 42, ledig, sonnenfältchenäugig, ausgestattet mit Omas blendendem Gebiss.

Vieles an ihm fiel ihr auf, nichts davon störte sie. Nicht sein Wortwitz, der die Pointen voranstellte und die Vorgeschichten erst nachher zu erzählen pflegte. Nicht sein gewöhnungsbedürftiger Begriff von Frühjahrsmode. Nicht seine sattsam ausgewaschenen Unterleibchen, die man beim besten Willen nicht als T-Shirts bezeichnen konnte. Nicht einmal seine alle paar Minuten wiederkehrende Lieblingsformel »Wie-von-den-Socken«. Judith hatte es bislang vermieden zu fragen, ob er nicht zufällig noch bei seiner (Socken stopfenden) Mutter lebte.

Er war ein anderer Typ als alle bisher, nicht ihrer und auch keiner, den sie von irgendeiner Frau her kannte. Er war schüchtern und wagemutig zugleich, verschämt und unverschämt, beherrscht und getrieben, auf tolpatschige Weise zielstrebig. Und er wusste, was er wollte: ihr nahe sein. Das war ein durchaus ehrenwertes Verlangen, dachte Judith. Sie nahm sich vor, behutsam damit umzugehen und nichts zu überstürzen. Sie wollte keine falschen Hoffnungen in ihm wecken. Hoffnungen schon, aber keine falschen. Welche die richtigen waren, würde die Zukunft der Gegenwart früh genug einflüstern.

Die späten Abende und Wochenenden fanden vorerst noch ohne ihn statt, zumindest physisch. So paradox es klang: Die Zeit ohne ihn zählte für Judith zu den schönsten und stärksten Zeiten mit ihm. Egal welcher ihrer gewohnten Tätigkeiten sie nachging, alles rückte in den Hintergrund, alles geschah wie unter dem Einfluss von Glücksdrogen. Ja, sie war erstmals, wenn auch vermutlich nur kurzfristig, ein rundum glücklicher sorgenfreier Single. Sie konnte tun, was sie wollte: an Hannes Bergtaler denken. Es war wundervoll, ihre Sehnsucht nach ihm beim Wachsen zu beobachten. Möglicherweise war es auch bloß ihre Sehnsucht nach seiner Sehnsucht nach ihr, die da wuchs, aber Sehnsucht blieb Sehnsucht, und Judith war endlich wieder einmal süchtig danach.

 

2.


Am zweiten Samstag im Mai war sie abends bei Ilse und Roland zum Revanche-Essen für Ostern eingeladen. Auch Gerd und das beharrlich Händchen haltende Paar Lara und Valentin waren wieder dabei. Es war warm genug, um auf der Terras