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Verflixt eng hier
Er kam direkt auf mich zu. Groß, durchtrainiert, weißblond, mit hellen, beinahe farblosen Augen. Ein Nordmann, ein Krieger, ein Eroberer.
Okay, in Wahrheit nur ein Sportlehrer.ABER: Er hatte ein Grübchen am Kinn, und auf dieses Grübchen musste ich jedes Mal starren, wenn ich ihn sah. So von unten herauf, weil er locker einen halben Meter größer war als ich. Na, sagen wir dreißig Zentimeter.
Ich starrte also, während er mit lässigem Gang über den Pausenhof der Grundschule von Norderbüll auf mich zusteuerte. Kein Kindergeschrei durchschnitt die weihevolle Stille. Erst in zwei Stunden sollte das Fest zum Ende der Sommerferien beginnen, und im Augenblick versammelte sich nur das Kollegium der Waldschule plus einiger freiwilliger Helfer, um mit den Vorbereitungen zu beginnen.
Neben mir stand Esther, meine zweiundsechzigjährige Nachbarin, und starrte ebenfalls. Auf den Mann und sein Grübchen.
»Großer Gott!«
Ich stieß sie mit dem Ellenbogen in die Seite – der Sportlehrer war schon fast in Hörweite. Mir war ihr Verhalten peinlich. Mein eigenes auch, aber das bemerkte er bestimmt nicht, weil er mich eher selten richtig wahrnahm. Meine Nachbarin hingegen, die mich mit ihrem silbergrauen Haar und der markanten Adlernase um mehr als einen Kopf überragte, war nicht zu übersehen.
Esther hatte von sich aus vorgeschlagen, mich zu begleiten. Sie könne sich nützlich machen, hatte sie gemeint und einen langen, orakelhaften Blick durch mein Küchenfenster zum Himmel geworfen. Dort waren schon am Vormittag fette dunkle Wolken aufgezogen, und wir beide wussten, was das bedeutete: Bei Regen fand das Schulfest in der Turnhalle statt. Viele, sehr viele Menschen würden sich auf eher beengtem Raum tummeln.
Keine ideale Situation für mich.
Allein schaffst du das nicht, Sina, hatte Esthers Blick gesagt.
Möglich.
Aber vielleicht machte sie auch alles nur noch schlimmer.
So wie jetzt. Zum ersten Mal seit Monaten begegnete ich Jan, ohne dass andere Leute um uns herum waren, und ausgerechnet bei dieser einmaligen Gelegenheit blieb Esther eisern an meiner Seite.
Ich stieß sie ein zweites Mal in die Rippen. Jede gleichaltrige Freundin hätte schon längst kapiert, dass sie sich verdrücken sollte.
Nicht so Esther.
»Du hast recht«, fügte sie zum Glück um einiges leiser hinzu. »Der ist wirklich zum Anbeißen.«
Wieder einmal bereute ich es, meine Nachbarin ins Vertrauen gezogen zu haben. Hätte ich ihr bloß nie verraten, dass ich seit meinem ersten Tag als Vertretungslehrerin an der Schule – seit genau fünf Monaten und zweieinhalb Wochen – in diesen bombastisch aussehenden Sportlehrer verliebt war. Und dass sich diese Sommerferien, in denen ich ihn höchstens mal von Weitem zu Gesicht bekam, endlos und zäh dahinzogen.
Hätte ich doch meine Klappe gehalten!
Dummerweise waren meine Freundinnen aus Kindertagen, die inzwischen wie ich Mitte dreißig waren, in aller Welt verstreut. Sie machten Karriere oder hatten irgendwen Wichtiges geheiratet. Nur ich lebte noch in Norderbüll, einem Ort dicht an der dänischen Grenze mit tausendneunhundertneunzig Einwohnern und wenig Chancen, dass es noch mal zweitausend würden.
Also blieb mir