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1. Kapitel
Boxhagen, Oktober 1847
Der schwere Duft feuchter Erde umgab mich, während ich in meinem frisch geharkten Blumenfeld kniete und kleine Löcher aushob. Vorsichtig setzte ich Zwiebel um Zwiebel ein und schob die Erde darüber, drückte sie mit beiden Händen fest, während ich das Leben darin spürte. Über jeden schimmernden Käfer und jeden Regenwurm, der mein Blumenfeld bevölkerte, musste ich lächeln.
«Ihre Mutter wäre glücklich, Sie so zu sehen. Wenn ich das sagen darf, Fräulein Sonntag», brummte Herr Range hinter mir.
Ich drehte mich halb zu ihm um. Der alte Gärtner aus der böhmischen Kolonie zwinkerte mir zu und grub dann emsig weiter Zwiebeln ein. In der Ferne packten weitere Kolonisten sowie mein Gehilfe Alfred fleißig mit an. Dieser milde Oktobertag war perfekt, um Hyazinthen zu pflanzen. Der Wind kühlte uns die Haut, und die Erde war weder zu nass noch zu trocken.
«Ich bin Ihnen wirklich dankbar für Ihre Hilfe …», sagte ich nicht zum ersten Mal.
«Das ist doch selbstverständlich, Fräulein Sonntag. So oft, wie Ihre Familie uns geholfen hat … Das kann ich gar nicht wiedergutmachen.»
«Sie brauchen es nicht wiedergutzumachen, Herr Range.»
Sobald er von der Wohltätigkeit meiner Familie sprach, bekam ich einen Knoten im Bauch. Ja, wir hatten ihnen Kredite gegeben, als die Kartoffelfäule die Ernten der böhmischen Gärtner von Boxhagen vernichtet hatte. Doch die Beträge waren gemessen am Umsatz des Vorwerks Boxhagen lächerlich gering gewesen. Schon als Kind hatte ich mich darüber gewundert, warum die einen über 260 Morgen Land besaßen und immer mehr Reichtum anhäufen konnten, während die anderen kleine Parzellen pachten und ums Überleben kämpfen mussten. Über diese Ungerechtigkeit hatte ich oft mit Heinrich gesprochen. Heinrich, mein großer Bruder, mein Vertrauter. Ich schloss die Augen, versuchte, den Schmerz, der in meiner Brust aufstieg, niederzukämpfen.Nicht jetzt.
«Ich finde es wunderbar, dass eine Dame wie Sie noch selbst Hyazinthen zieht und pflanzt. Ganz wie Ihre Mutter. Damit halten Sie ihr Andenken in Ehren.»
«Sie sind wahrscheinlich der Einzige, der das wunderbar findet, Herr Range.» Ich musste an meine Schwestern denken und daran, wie sie ihre Nasen rümpfen würden, wenn sie mich so sehen könnten. Wir waren die Besitzerinnen dieses Landes. Nicht seine Gärtnerinnen – das zumindest betonte vor allem Ludmila, die Älteste von uns, sehr gern.
«Mitnichten, Fräulein Sonntag! In der Kolonie sagen das alle.»
«Sie sprechen in der Kolonie über mich?» Besorgt blickte ich wieder über meine Schulter. Seine gerunzelte Haut wurde von einem rosaroten Schimmer überzogen.
«Nur … hin und wieder», gab er zu.
Die Kolonie lag am Rande des Vorwerks Boxhagen. Der König von Preußen hatte im vorigen Jahrhundert Gärtner aus Böhmen auf bis dato ungenutzten S