2. Unvermeidlich
Es ist dumm, das zu befürchten, was unvermeidlich ist.
Publius Syrus
30 Minuten später klingelt Karls Handy. Raquel sagt, dass er sich nett machen solle, sie sei bald da. Nett machen, hat sie gesagt, wie man zu einer Frau sagen würde, die man gut kennt. Raquel ist ein Lichtblick, gerade wegen dieser offenen Art. Als sie ihn abholt, strahlt sie, was sofort auf Karl übergeht. Er verschwendet keinen Gedanken mehr an das, was er noch vor einer Stunde gesehen hat, als er sie sieht. Raquel trägt ein sehr körperbetontes Kleid. Das hat Karl erwartet oder, besser noch, erhofft.
Nicht erwartet hat er diesen Körper. Sie ist sehr trainiert, trotzdem weiblich, aber wichtiger noch ist die Art, wie sie sich bewegt, als sie auf ihn zukommt. Viele Männer stehen auf irgendetwas bei einer Frau, die Haarfarbe, die Brüste, die Beine oder den Po. Karl liebt die Bewegung, besser gesagt, wie eine Frau ES gestalten kann. Sie kann dieses gewisse ES gestalten, ganz sicher. Man könnte meinen, dass ihre Füße kaum den Boden berühren. Sie scheint zu schweben, aber es sieht auch ein bisschen so aus, als wollte sie keine Fußabdrücke hinterlassen, wenn sie auf Sand liefe. Karl denkt, dass er wohl wieder mal seine Berufskrankheit vor sich habe, die alles in militärische Kategorien lenkt. Sie trägt keine Pumps, die die Beine einer Frau immer strecken, wie man es in Europa erwartet hätte. Ballerinas sind alles, was sie braucht bei ihren kaum ein Meter 70. Es ist perfekt. Sie ist perfekt. Karl stammelt so etwas wie: »Du siehst unglaublich aus.«
Sie sagt fast nüchtern in dieser Situation, aber mit leicht ironisch-witzigem Unterton: »Ja, ich weiß, ich habe ja auch lange genug dafür gebraucht. Aufdonnern, das geht schnell, aber natürlich gut aussehen, das dauert sehr lange!« Sie lacht sehr laut, so sympathisch, über sich und ihren eigenen Witz, der möglicherweise kein Witz ist. Karl zweifelt, aber ihr Lachen ist ansteckend. Es gibt keine Option, außer gute Laune zu haben.
Sie fragt wie selbstverständlich: »Hast du Hunger?«, und Karl antwortet ebenso selbstverständlich: »Ja, sicher!«
Raquel führt ihn in das Restaurant, das die Touristen nur durch Zufall sehen, aber es ist auch so gestaltet, einen Touristen zu beeindrucken, wenn man ihm das »wahre Israel« zeigen will: das Meer, die offene Terrasse, die Gerichte aus dem, was das Meer dort hergibt, und die so »vollkommen israelisch« sind. Karl lächelt in sich hinein. Weiß sie wirklich nicht, dass er hier gelebt hat, das meiste davon kennt? Unwahrscheinlich, dass sie es nicht weiß, denn sie gehört demMossad an. Sie essen, aber sie essen nicht, sie trinken Wein, aber sie trinken nicht. Alles ist nur das, was das Unausweichliche vorbereitet.
Als sie beim Nachtisch sind, fragt sie Karl, wie es nun weitergehen solle. Karl weiß nicht, was er erwidern soll, obwohl alles so klar ist. Er will diese Frau, weiß nicht einmal, warum. Es ist ihm auch egal. Er ist ungebunden. Sie ist unglaublich: witzig, intellektuell, unterhaltend. Sie hat die ganze Zeit keinen Hehl daraus gemacht, was sie will. Karl fühlt sich manchmal wie die verfolgte Jungfrau, denn Kompli