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Alles klar bei dir?«, fragte Stella Samstagabend, als ich mich mit kritischem Blick im Badezimmerspiegel betrachtete.
»Ja, alles super, bis auf die Tatsache, dass ich einundvierzig geworden bin«, antwortete ich, zog eine Grimasse und streckte mir selbst die Zunge heraus.
Stella gab mir einen spielerischen Klaps auf die Hand.
»Und wenn du so weitermachst, sieht man dir das auch bald an«, schimpfte sie und stellte sich neben mich, um ihren Lippenstift nachzuziehen. »Du weißt doch, lebhafte Mimik wirkt zwar sympathisch, ist aber gar nicht gut für den Teint.«
Stella, stylish wie immer, trug einen Nude-Ton mit Goldschimmer, der wunderbar zu ihren blonden Haaren passte, und grinste von einem Ohr zum anderen, während sie ihre Wangen aufpustete. Angeblich eine Geheimwaffe, um zarten Knitterfältchen in der Lippengegend den Garaus zu machen, bevor sie die Chance hatten, sich dauerhaft niederzulassen. Ich verwendete einen Lippenstift in einem Rosenholzton, der gut mit meinen Sommersprossen und dem dunklen Bob harmonierte, den ich seit kurzem trug.
»Hey, ihr beiden, wollt ihr hier drin Wurzeln schlagen?«, rief Nina, die dritte Bewohnerin der WG in unserem Haus, das wir seit dem Einzug dieVilla zum Verlieben nannten, und steckte ihren karottenrot getönten Schopf durch die Tür. Nina und ich wohnten im Erdgeschoss und Stella zusammen mit ihrer Familie im ersten Stock.
Seit nunmehr sechs Jahren lebten wir in dieser charmanten Stadtvilla in Eimsbüttel, an deren weißgetünchter Fassade sich wilder Wein, Blauregen und Kletterhortensien emporrankten, als wollten sie das alte Gemäuer umarmen. Zur Villa gehörte ein großer, wildromantischer Garten, den wir heiß und innig liebten.
Erst waren wir lediglich drei Frauen gewesen, die der Zufall durch eine Wohnungsannonce zusammengeführt hatte. Trotz anfänglicher Reibereien waren wir im Laufe der Jahre echte Freundinnen geworden und verbrachten viel Zeit miteinander.
»In einer halben Stunde kommen die Gäste, und ich könnte echt noch Hilfe mit diesem Polenta-Peperoncino-Brot brauchen, das im Backofen steckt«, sagte Nina und klopfte ungeduldig mit den Fingernägeln an die Tür.
»Komme schon!«, sagte ich und folgte ihr in die Küche. Punkt zwanzig Uhr sollte die Geburtstagsparty im Wintergarten meiner Wohnung beginnen.
Stella stöckelte ein wenig unsicher hinterher.
Seit sie Mutter von zwei entzückenden Kindern war, trug sie Chucks. Ihre vierjährige Tochter, mein Patenkind Emma, hielt sie mindestens ebenso auf Trab wie ihr knapp dreizehnjähriger Stiefsohn Moritz. Da war praktisches Schuhwerk angesagt anstelle von High Heels. Doch heute wollte sie sich zur Feier des Tages mal wieder als richtigeFrau fühlen.
Neugierig öffnete ich die Klappe des Backofens und schnupperte.
Ja, genauso sollte es duften! Und genauso sollte es aussehen. Außen kross gebacken und innen weich wie Rührkuchen.
Unter dem prüfenden Blick von Nina, die gerade versuchte, eine Flasche Rosé-Prosecco zu öffnen, zog ich mir gefütterte, mit Rosenmuster bedruckte Küchenhandschuhe über und holte das Blech mit dem Maisbrot heraus. Ich wusste, weshalb Nina so spöttisch grinste: Sie fand mich ein wenig zu mädchenhaft und romantisch, denn im Gegensatz zu ihr liebte ich alles, was bunt, gemustert oder kuschelig war.
»Mhm, das sieht ja toll aus«, sagte Stella, trotz eifriger Bemühungen alles andere als eine leidenschaftliche Köchin. Ihre Talente lagen eindeutig im Bereich Styling und Dekoration, weshalb sie erfolgreich als Innenarchitektin arbeitete, sofern die Kinder und ihre Ehe ihr genug Spielraum dafür ließen.
Während ich das Polentabrot vorsichtig anschnitt, um zu prüfen, ob es wirklich gut durchgebacken war, schenkte Nina Stella und mir ein Glas Saft ein. Dann ging sie zum langen Esstisch, um letzte Hand an die Blumendekoration zu legen, die ein Teil meines Geburtstagsgeschenks war.
Als ehemalige Floristin war Nina die Gartenfee unserer Villa und hatte ein echtes Händchen für Blumen, Kräuter und alles Grüne.
Ich trank einen kleinen Schluck und stellte das frisch gebackene Maisbrot auf den Tisch, auf dem schon Salate, reichhaltige Antipasti-Platten und zwei verschiedene Quiches standen.
Meine Eltern steuerten als Dessert selbstgebackenen Apfelkuchen und eingelegte Pflaumen mit Vanilleeis bei. Sowohl die Äpfel als auch die Pflaumen stammten aus unserem Obstgarten im Alten Land, wo ich bis vor knapp sechs Jahren gelebt hatte.
Ich freute mich sehr, beide nach langer Zeit wiederzusehen, denn je länger ich in Hamburgs coolem Stadtteil Eimsbüttel wohnte, desto mehr verblasste meine ländliche Vergangenheit.
Als es an der Tür klopfte, rief Stella: »Das wird Robert sein!«, ging in den Flur, um zu öffnen, und fiel dann ihrem Mann um den Hals. Ich freute mich sehr, dass die beiden immer noch so verliebt waren, denn sie hatten lange gebraucht,