: Wolfgang Kemp
: Anne Hamilton
: Der Scheich
: zu Klampen Verlag
: 9783866747043
: zu Klampen Essays
: 1
: CHF 14.30
:
: Gesellschaft
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Dasein arabischer Scheichs ist für westliche Betrachter schwer zu verstehen. Unermesslicher Reichtum paart sich mit skurrilen Lebensgewohnheiten, Archaisches und Modernes bilden ein so eigentümliches Amalgam, dass heute Tausendundeine Nacht in gläsernen Wolkenkratzern beheimatet scheint. Ursprünglich bezeichnete der Titel »Scheich« das Oberhaupt eines Stammes oder einen geistlichen Führer. Seit der Umwandlung der Territorien am Golf in autoritär regierte Nationalstaaten jedoch nahmen den Titel sämtliche Mitglieder einer herrschenden Familie an. Die so entstandenen Clans behandeln die (noch) sprudelnden Einnahmen aus Öl und Gas - wie die Oligarchen - als ihre Privatschatulle. Doch können ständig sich vermehrende Clans weiterhin aus der Palastkasse ausgehalten werden? Gern mietet man für private Zwecke ganze Luxushotels in westlichen Metropolen an, und natürlich sollte auch ein Jagdfalke seinen Besitzer standesgemäß auf Reisen begleiten dürfen. Darüber hinaus werden auch spektakuläre nationale Großprojekte in Angriff genommen, Ableger westlicher Museen wie Ufos in den Wüstensand gesetzt. Wolfgang Kemp öffnet uns mit seinem ebenso kenntnisreichen wie unterhaltsamen Essay den Blick in eine Welt, die - wie einst das Serail - für Fremde sonst verschlossen bleibt.

Wolfgang Kemp, Jahrgang 1946, war Professor für Kunstgeschichte in Kassel, Marburg und Hamburg. Seit seiner Emeritierung lehrt er an der Leuphana Universität Lüneburg. Gastprofessuren führten ihn u. a. an die Harvard University, ans Wissenschaftskolleg Berlin und ans Getty Research Center in Los Angeles. Er hat zahlreiche Publikationen zur Kunstgeschichte, Architektur und Fotografie vorgelegt und schreibt regelmäßig für deutsche Zeitungen und Zeitschriften. Zuletzt erschien von ihm bei zu Klampen: »Der Oligarch« (2016).

Halloween in Dschidda


WIKILEAKS hat uns zu treuen Händen eine Datensammlung übergeben, welche die Organisation etwas keck mit »Public Library of US Diplomacy« überschrieben hat. Die »Library« enthält etwa zwei Millionen »cables«, Depeschen der US-amerikanischen Botschaften und Konsulate an das State Department in Washington. Sie reichen von 1973 bis 2010. Die Depeschen aus der Kissinger-Ära waren schon vor 2013 deklassifiziert worden, die späteren wurden durch WikiLeaks 2010 sukzessive freigegeben (Cablegate, Cables Leak) und zusammen mit dem älteren Material in einer großen Datenbank vereinigt. Die Library besteht mehrheitlich aus monatlichen Lageberichten, aus Hintergrundinformationen und Protokollen von Begegnungen auf höchster Ebene.

Man hat das gewaltige Material der Depeschen schnell auf »Stellen«, auf »dirty details« durchgesehen, so wie man einen erotischen Roman überfliegt, und hat im wesentlichen auf beleidigende, abschätzige Beurteilungen von politischen Größen in Ost und West abgehoben oder extreme politische Forderungen der Gegenseiten aufgespießt: »The Saudi King pressed for a U. S. attack on Iran.« Nach diesem ersten Ansturm zählte die »Bibliothek« nur noch wenige Besucher.1 Das ist schade, denn hier findet man ein erstklassiges ethnographisches Material, eine doppelte Fremdwahrnehmung, die in hoch kodifizierter Form abbildet, wie die Amerikaner ihre Gastländer sehen und wie die Gastländer die Welt sehen, in Anwesenheit der Amerikaner, versteht sich.

Wir konzentrieren uns hier auf zwei Texte amerikanischer Diplomaten aus und über Saudi-Arabien. 2009 berichtet Generalkonsul Martin A. Quinn aus Dschidda über das nächtliche Treiben der Jeunesse dorée. Er schreibt ein wenig wie ein Puritaner – oder wie ein Mitglied der saudischen Religionspolizei, der »Behörde für die Verbreitung von Tugendhaftigkeit und Verhinderung von Lastern«: »The full range of worldly temptations and vices are available – alcohol, drugs, sex – but strictly behind closed doors. This freedom to indulge carnal pursuits is possible merely because the religious police keep their distance when parties include the presence or patronage of a Saudi royal and his circle of loyal attendants.«

Vielleicht lernt man das in der hohen Schule der Diplomatie, aber Formulierungen wie »wordly temptations and vices« oder »to indulge carnal persuits« überleben eigentlich nur noch in Traktätchen, die einem an der Tür angereicht werden. Doch vielleicht ist das eine Sprache, derer sich Diplomaten zu gegenseitiger Erheiterung bedienen.

Es waren jedenfalls Beamte des Konsulats zu einer Halloween-Party bei Prinz Faisal al-Thunayan eingeladen, der das Ereignis zusammen mit Kizz Me sponserte, einem Energy-Drink-Hersteller der Vereinigten Staaten, der in Saudi-Arabien seine Auslieferung hat. Lassen wir den Lasterkatalog erst einmal beiseite und beobachten wir zusammen mit unseren amerikanischen Fremdenführern, wie das Betragen der Prinzen, diesmal zu Hause, uns zu einigen Essentials der religiösen und politischen Verhältnisse in einem arabischen Land bringt. Beginnen wir beim scheinbar belanglosen Stichwort Halloween. Kaum eine Leserin oder ein Leser im Lande des Unglaubens (bilad al-kufr) wird – so glaube ich – sich klarmachen, welcher Verstoß gegen die Glaubensgrundsätze sich hier anbahnte – und das ist in Dschidda nicht ein Islam, dessen Doktrinen in der Bibliothek nachgelesen werden können, sondern der draußen in Gestalt der Religionspolizei patrouilliert. Der Umgang mit den Festtagen der anderen hat schon die islamischen Geistlichen des Mittelalters umgetrieben. Zu Recht. Feste waren nun einmal Hö