: Giulia Enders
: Darm mit Charme Alles über ein unterschätztes Organ - aktualisierte Neuauflage
: Ullstein
: 9783843707114
: 1
: CHF 14.00
:
: Gesundheit
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Millionen-Bestseller jetzt aktualisiert - mit einem Zusatzkapitel über neue wissenschaftliche Erkenntnisse Unser Darm ist ein fabelhaftes Wesen voller Sensibilität, Verantwortung und Leistungsbereitschaft. Wenn man ihn gut behandelt, bedankt er sich dafür. Das tut jedem gut: Der Darm trainiert zwei Drittel unseres Immunsystems. Aus Brötchen oder Tofu-Wurst beschafft er unserem Körper die Energie zum Leben. Und er hat das größte Nervensystem nach dem Gehirn. Allergien, unser Gewicht und eben auch unsere Gefühlswelt sind eng mit unserm Bauch verknüpft. In diesem Buch erklärt die junge Wissenschaftlerin Giulia Enders, was die medizinische Forschung Neues bietet und wie wir mit diesem Wissen unseren Alltag besser machen können. Die dazu gehörigen Illustrationen stammen aus der Feder ihrer Schwester Jill. Die aktualisierte Neuauflage wird um ein Kapitel ergänzt: Die Schwestern Enders geben hier ein Update zu neuen Forschungsergebnissen und der Welt der Mikroben.

Giulia Enders arbeitet als Ärztin für Gastroenterologie. Sie forschte für ihre Doktorarbeit am Institut für Mikrobiologie in Frankfurt am Main und wurde 2012 durch ihren Science-Slam-Vortrag Darm mit Charme bekannt, der zum YouTube-Hit und als Buch zum weltweiten Bestseller wurde.

Wie geht kacken?–… und warum
das eine Frage wert ist


Mein Mitbewohner kam in die Küche und meinte:»Giulia, du studierst doch Medizin– wie geht kacken?« Es wäre sicher keine gute Idee, mit diesem Satz meine Memoiren zu beginnen, aber diese Frage hat sehr viel für mich verändert. Ich ging in mein Zimmer, setzte mich auf den Boden und wälzte drei verschiedene Bücher. Als ich die Antwort fand, war ich völlig baff. Etwas so Alltägliches war viel klüger und beeindruckender, als ich jemals gedacht hätte.

Unser Klogang ist eine Meisterleistung– zwei Nervensysteme arbeiten gewissenhaft zusammen, um unseren Müll so diskret und hygienisch wie möglich zu entsorgen. Kaum ein anderes Tier erledigt dieses Geschäft so vorbildlich und ordentlich wie wir. Unser Körper hat dafür allerlei Vorrichtungen und Tricks entwickelt. Es fängt schon damit an, wie ausgetüftelt unsere Schließmechanismen sind. Fast jeder kennt immer nur denäußeren Schließmuskel, den man gezielt auf- und zubewegen kann. Es gibt einen ganzähnlichen Schließmuskel, wenige Zentimeter entfernt– nur können wir ihn nicht bewusst steuern.

Jeder der beiden Schließmuskeln vertritt die Interessen eines anderen Nervensystems. Deräußere Schließmuskel ist treuer Mitarbeiter unseres Bewusstseins. Wenn unser Gehirn es unpassend findet, jetzt auf die Toilette zu gehen, dann hört deräußere Schließmuskel auf das Bewusstsein und hält so dicht, wie er eben kann. Der innere Schließmuskel ist der Vertreter unserer unbewussten Innenwelt. Ob Tante Berta Pupse mag oder nicht, interessiert ihn nicht. Ihn interessiert einzig und allein, ob es uns im Inneren gut geht. Drückt ein Pups? Der innere Schließmuskel will uns alles Unangenehme vom Leib halten. Ginge es nach ihm, könnte auch Tante Bertaöfter pupsen. Hauptsache, im Innenleben ist alles gemütlich, und es zwickt nichts.

Diese beiden Schließmuskeln müssen zusammenarbeiten. Wenn unsere Verdauungsreste beim inneren Schließmuskel ankommen, macht dieser reflexartig auf. Er lässt allerdings nicht einfach alles auf denäußeren Schließmuskelkollegen los, sondern erst einmal nur einen Testhappen. In dem Raum zwischen innerem undäußerem Schließmuskel sitzen viele Sensorzellen. Diese analysieren das angelieferte Produkt darauf, ob es fest oder gasförmig ist, und schicken ihre Information hoch an das Gehirn. In diesem Moment merkt das Gehirn: Ich muss aufs Klo!,… oder vielleicht auch nur pupsen. Es macht dann, was es mit seinem»bewussten Bewusstsein« so gut kann: Es stellt uns auf unsere Umwelt ein. Dazu nimmt es Informationen von Augen und Ohren und zieht seinen Erfahrungsschatz hinzu. In Sekundenschnelle entsteht so eine erste Einschätzung, die das Gehirn zurück an denäußeren Schließmuskel funkt:»Ich habe geguckt, wir sind gerade bei Tante Berta im Wohnzimmer– Pupse gehen vielleicht noch, wenn du sie ganz leise raustwitschen lässt. Fest eher ungut.«

Deräußere Schließmuskel versteht und verschließt sich voller Loyalität noch fester als zuvor. Dieses Signal bemerkt dann auch der innere Schließmuskel und respektiert erst mal die Entscheidung seines Kollegen. Die beiden verbünden sich und schieben den Testhappen in eine Warteschleife. Raus muss es irgendwann, nur eben nicht hier und jetzt auch nicht. Einige Zeit später wird es der innere Schließmuskel einfach noch mal mit einem Testhappen probieren. Sitzen wir mittlerweile gemütlich zu Hause auf dem Sofa: freie Fahrt!

Unser innerer Schließmuskel ist ein solides Kerlchen. Sein Motto ist: Was raus muss, muss raus. Und da gibt es auch nicht besonders viel zu interpretieren. Deräußere Schließmuskel muss sich immer mit der komplizierten Welt beschäftigen: Theoretisch könnte man ja schon die fremde Toilette benutzen, oder doch lieber nicht? Kennen wir uns mittlerweile nicht schon gut genug, als dass man auch voreinander pupsen dürfte– muss ich der Erste sein, der das Eis bricht? Wenn ich jetzt nicht aufs Klo gehe, dann kann ich erst wieder heute Abend, und das kann im Laufe des Tages unangenehm werden!

Die Gedanken der Schließmuskeln klingen vielleicht nicht unbedingt nobelpreisverdächtig, aber eigentlich sind es grundlegende Fragen unserer Menschlichkeit: Wie wichtig ist uns unsere Innenwelt, und welche Kompromisse gehen wir ein, um mit der Außenwelt gut klarzukommen? Der eine verkneift sich auf Teufel komm raus den unangenehmsten Pups, bis er sich mit Bauchweh nach Hause quält, der andere lässt sich bei der Familienfeier von Oma am kleinen Finger ziehen und initiiert den eigenen Pups lautstark als unterhaltsame Zaubershow. Langfristig liegt der beste Kompromiss vielleicht irgendwo zwischen beiden Extremen.

Wenn wir uns häufig hintereinander verbieten, auf die Toilette zu gehen, obwohl wir müssten, schüchtern wir den inneren Schließmuskel ein. Wir können ihn damit sogar richtig umerziehen. Die umliegende Muskulatur und er sind dann so oft vomäußeren Schließmuskel diszipliniert worden, dass sie entmutigt sind. Wenn die Kommunikation der beiden Schließmuskeln eisig wird, können sogar Verstopfungen entstehen.

Ganz ohne gezielte Klogang-Unterdrückung kann das auch bei Frauen passieren, während sie ein Kind gebären. Dabei können feine Nervenfasern kaputtgehen,über welche die beiden Schließmuskeln sonst kommun