: Garry Disher
: Barrier Highway Kriminalroman. Ein Constable-Hirschhausen-Roman (3)
: Unionsverlag
: 9783293311145
: 1
: CHF 11.40
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Tivertons sirrend heißer Sommer, der müde Steinmauern zermalmt und träge Windräder unter seiner Hitze in die Knie zwingt, wird von einem kalt grünen Winter abgelöst. Unentwegt fährt Constable Hirschhausen über die einsamen Landstraßen, um nach dem Rechten zu sehen. Oft sind es Kleinigkeiten, mit denen das große Verbrechen sich ankündigt. Ein Unterwäschedieb in den Gärten. Ein randalierender Vater an der Grundschule. Ein vernachlässigtes, eingesperrtes Kind. Familien unter Druck, finanzielle Probleme. Hirsch weiß genau, wie leicht solche Fälle eskalieren können, und bemüht sich mit einfühlsamer Autorität um Kontrolle. Bis sie ihm entgleitet.

Garry Disher, geboren 1949, wuchs im ländlichen Südaustralien auf. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten, Kriminalromane und Kinderbücher. Sein Werk wurde für den Booker Prize nominiert und mehrfach ausgezeichnet, u. a. viermal mit dem Deutschen Krimipreis sowie zweimal mit dem wichtigsten australischen Krimipreis, dem Ned Kelly Award. Garry Disher lebt an der Südküste von Australien in der Nähe von Melbourne.

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Herrschte Hirsch über den Ort?

Manchmal kam es ihm so vor – zumindest machte er ihn zu dem seinen, wenn er bei Tagesanbruch durch die Straßen patrouillierte. Als er damit vor achtzehn Monaten begonnen hatte, hatte er sich eine Art inneren Lageplan zurechtgelegt. Ausgehend vom Polizeirevier hatte er imaginäre Verbindungslinien gezogen zur kleinen Schule am Barrier Highway, zum Gemischtwarenladen, zu dem Geschäft für Luzernesamen in der Nebenstraße, den Tennisplätzen, den bemalten Silos an der aufgelassenen Bahnstation – und zu jedem der Häuser, zumeist errichtet aus lokalem Gestein des Woll- und Weizenlandes auf halber Strecke zwischen Adelaide und den Flinders Ranges.

Als Hirsch diesen Lageplan vollendet hatte und alles mit allem verknüpft war, hatte der Polizist in ihm wieder die Oberhand gewonnen. Der Beschützer und Gesetzeshüter. Er wachte über die beiden Geschwister im Teenageralter, die sich um ihre manisch-depressive Mutter kümmerten, über die alte Frau, deren Gatte ständig umherirrte, kaum dass sie ihm den Rücken kehrte, über den jungen Ureinwohner, der erst allmählich zu glauben begann, dass Hirsch nicht zu der prügelnden Sorte von Polizisten gehörte. Und er hielt Ausschau nach Dummheit, Hinterlist und reiner Bosheit. Er ging alte Verbrechen und launische Schicksalsschläge durch, von denen nur noch ein paar Blutflecken an einem Verandapfosten oder auf einer Einfahrt zeugten – verbunden mit einem Gefühl von Bedauern: »Hätte ich doch nur …« Vielleicht konnte er das nächste Mal früher eingreifen? War da nicht ein irrer Glanz in den Augen eines Mannes, der auf den ersten Blick wie ein ordentlicher Bürger wirkte? An welcher Stelle auf der First Street konnte er vielleicht einen eventuellen Fluchtversuch unterbinden? Oder wie am Canowie Place schließlich den Schlüpferdieb schnappen? Jeder Ort war durchlässig, nach allen Seiten offen. Niedertracht wie Gutherzigkeit konnten einsickern. Alles war mit allem verbunden.

Der Schlüpferdieb. Hirsch ging an diesem eisigen Mittwochmorgen gegen Ende August von der Mawson Street zum Canowie Place; Frost lag auf dem Gras, Eiszapfen hingen an tropfenden Gartenwasserhähnen, schließlich zerfielen sie im Glanz der Sonne in Prismen und Diamanten. Vor Hirsch lag ein strahlender, ruhiger, eisiger Tag. Gestern war Schnee auf dem Razorback gemeldet worden, und Hirsch war gewillt, das zu glauben, denn von der Kälte tränten ihm die Augen, und Wangen und Zehen waren eiskalt.

Komische Vorstellung, dass 2019 mit Buschbränden im ganzen Land begonnen hatte. Was konnte da noch kommen? Hirsch stampfte mit den Füßen auf, zog die Schultern hoch und den Kopf ein, wurde zu einer gedrungenen Gestalt unter einer Strickmütze, die den Canowie Place entlangging. Er kam an der Uniting