: Klaus Mann
: Der Wendepunkt Ein Lebensbericht
: Books on Demand
: 9783754318089
: 1
: CHF 0.80
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 843
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Diese Autobiographie erschien zuerst, 1944, in englischer Sprache unter dem Titel »The Turning Point«. Das vorliegende Buch ist eine erweiterte Fassung, die der Autor selbst in deutscher Sprache schrieb.

Klaus Heinrich Thomas Mann (1906 - 1949) war ein deutschsprachiger Schriftsteller. Der älteste Sohn von Thomas Mann begann seine literarische Laufbahn in der Zeit der Weimarer Republik als Außenseiter, da er in seinem frühen Werk Themen verarbeitete, die zur damaligen Zeit als Tabubruch galten.

Prolog


Wo beginnt die Geschichte? Wo sind die Quellen unseres individuellen Lebens? Welche versunkenen Abenteuer und Leidenschaften haben unser Wesen geformt? Woher kommt die Vielfalt widerspruchsvoller Züge und Tendenzen, aus denen unser Charakter sich zusammensetzt?

Ohne Frage, wir sind tiefer verwurzelt, als unser Bewußtsein es wahrhaben will. Niemand, nichts ist zusammenhangslos. Ein umfassender Rhythmus bestimmt unsere Gedanken und Handlungen; unsere Schicksalskurve ist Teil eines gewaltigen Mosaiks, das durch Jahrhunderte hindurch dieselben uralten Figuren prägt und variiert. Jede unserer Gesten wiederholt einen urväterlichen Ritus und antizipiert zugleich die Gebärden künftiger Geschlechter; noch die einsamste Erfahrung unseres Herzens ist die Vorwegnahme oder das Echo vergangener oder kommender Passionen.

Es ist ein langes Suchen und Wandern: wir mögen es zurückverfolgen bis ins fahle Zwielicht der Höhle, des barbarischen Tempels. Das blutige Zeremoniell der Darbringung geht weiter in unseren Träumen; in unserem Unterbewußtsein widerhallen die Schreie vom primitiven Altar, und die Flamme, die das Opfer verzehrt, sendet noch immer ihre flackernden Lichter. Die atavistischen Tabus und inzestuösen Impulse früher Generationen bleiben in uns lebendig; die tiefste Schicht unseres Wesens büßt für die Schuld der Ahnen; unsere Herzen tragen die Last vergessenen Kummers und vergangener Qual.

Woher stammt diese Unruhe in meinem Blut? Unter meinen nordischen Vorfahren mag es Piraten gegeben haben, deren Rastlosigkeit in mir weiterlebt. Welche meiner Schwächen und Laster verdanke ich einem hanseatischen Urgroßvater – Kapitän, Handelsmann der Richter –, dessen Namen ich nie kennen werde? Was ich für mein persönlichstes Drama hielt, ist vielleicht nur die Fortsetzung von Tragödien, die sich einst in der stickigen Gemütlichkeit eines norddeutschen Patrizierhauses abgespielt haben – weit weg, irgendwo am Gestade der Ostsee.

Eine würdig-idyllische Kleinstadt mit engen Gassen und grauen, giebeligen Häusern: beginnt hier die Geschichte? Ich habe nichts mit dieser Stadt zu tun, noch verlangt es mich, sie jemals zu besuchen. Und doch würde ich nicht existieren ohne einen gewissen Senator Heinrich Mann, hochrespektablen Bürger der Freien Hansastadt Lübeck, aber eben doch nicht mehr völlig hochrespektabel, schon ein wenig exzentrisch. Ein Lübecker Patrizier, der wirklich zur Gänzecomme il faut ist, sucht sich seine Lebensgefährtin unter den Töchtern der Stadt und wählt nicht eine junge Dame aus dem fernen Brasilien, wie der Senator es tat. Sie war das Kind eines deutschen Kaufmanns und einer Eingeborenen. Daß sie als kleines Mädchen den Ozean auf einem Segelschiff überqueren mußte, um nach Lübeck zu gelangen, s