Kapitel 1
Saint-André-du-Périgord, Mittwoch, 7. Juli
Kommissarin Marie Mercier war voller Vorfreude. Doch vor dem Wiedersehensfest wollte sie gern noch ein wenig die Ruhe genießen. Die Glocken der nahe gelegenen Kirche hatten gerade sieben Uhr geläutet, und nun herrschte wieder friedliche Stille um sie herum. In wenigen Stunden wäre es hier vorbei mit der Beschaulichkeit. Und heiß würde es werden. Nachdem es drei Tage lang wie aus Eimern geschüttet hatte, strahlte heute die Sonne von einem wolkenlosen blauen Himmel, und die Wettervorhersage hatte für die Mittagszeit achtunddreißig Grad angekündigt. Und es sollte sogar noch wärmer werden diese Woche –une canicule, Hundstage, wie man eine Hitzewelle nannte, war im Anmarsch. Ja, im Périgord konnte der Sommer sehr heiß werden.
Obwohl Marie sich heute freigenommen hatte, war sie schon bei Sonnenaufgang aus dem Bett geschlüpft und hatte sich in den Garten gesetzt. Sie trug ihre alten verwaschenen Shorts und ein leichtes, blauweiß gestreiftes T-Shirt. Sie hatte ein Faible für Streifenshirts und besaß mehrere in unterschiedlichen Farben. In diesen einfachen Outfits fühlte sie sich am wohlsten.
Sie liebte es, in der Frühe, von Natur umgeben, den Tag in Ruhe anzugehen. Vor Kurzem hatte sie mit ihrem Freund Michel auf dem Flohmarkt einen kleinen, runden Metalltisch und zwei Holzklappstühle erworben und zunächst unter dem imposanten Walnussbaum platziert. Allerdings hatte ihre Großtante Léonie, die im anderen Gebäudeflügel des Familienbauernhofs lebte, ihr daraufhin eine kleine, freilich nur gut gemeinte Moralpredigt gehalten: Unter einem Nussbaum dürfe man sich nicht aufhalten. Es wisse doch jeder, wie ungesund das sei, unter anderem bekomme man Rheuma … Irgendeine jahrhundertealte Bauernweisheit. Léonie zuliebe hatte Marie ihren Tisch und ihre Stühle ein paar Meter weiter unter den größten Apfelbaum in ihrem Garten gestellt.
Ihr Blick glitt hinab zu ihren nackten Füßen, neben denen sich der Mischlingshund César hingelegt hatte und jetzt leise schnarchend döste. Gleich nach dem Aufstehen hatte sie einen kleinen Spaziergang mit ihm gemacht. Mit einem Lächeln hob sie wieder den Kopf, schaute zum leuchtend blauen Himmel empor und atmete mehrmals tief ein und aus. So früh am Morgen war die Welt noch in Ordnung. Aus Saint-André, ihrer kleinen heimischen Welt hinter der Gartenmauer, war noch kein Laut zu vernehmen, und die Touristen, die im Sommer das friedliche Dreihundertseelendorf stürmten, lagen noch alle in den Federn. Doch vollkommen still war es auch nicht mehr. Offenbar wuselte Georges bereits herum. Der ehemalige Knecht lebte seit sechzig Jahren mit auf dem Hof und war längst ein Familienmitglied geworden. Marie stand auf, verließ den Obstgarten und ging zum Innenhof.
»Meine Güte, Georges, wie oft willst du die Pflastersteine noch kehren? Warum trinkst du nicht in Ruhe einen Kaffee mit mir?«
»Ich kann jetzt nicht rumsitzen! Die Warterei macht einen ja wahnsinnig«, entgegnete er unwirsch und versuchte, sein widerspenstiges weißes Haar mit der flachen Hand glatt zu streichen.
Marie betrachtete den großgewachsenen, hageren alten Mann gerührt. Er hatte sich sorgfältig rasiert und aus gegebenem Anlass sogar ein frisches, helles Hemd angezogen. Eins, das sie noch nie an ihm gesehen hatte. Höchstwahrscheinlich war es das »für gut«, wie er es nannte. Und heute war in der Tat ein besonderer Tag: In einigen Stunden würden ihre Großtante Léonie und die Nachbarin Rose von ihrer dreiwöchigen Mittelmeer-Kreuzfahrt zurückkehren. Es mussten die längsten Wochen in Georges’ Leben gewesen sein. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahr war er höchstens ein paar Tage von Léonie getrennt gewesen – seiner heimlichen Liebe. Wobei nur Marie hier von »Liebe« sprach, schließlich hatten die beiden ihre Beziehung nie offen ausgelebt. Was gen