Kapitel 2
In den Tagen darauf blieb Elsa in ihrem Zimmer und erklärte, sie fühle sich nicht wohl. Die Wahrheit war, dass sie ihrem Vater nicht gegenübertreten wollte. Wie hätte sie ihm das Verlangen offenbaren können, das sich hinter ihrem abgeschnittenen Haar verbarg? Erst suchte sie Zuflucht bei ihren Romanfiguren, die ihr stets den Raum gegeben hatten, sich, zumindest in ihrer Phantasie, gleichermaßen stark, mutig und schön zu fühlen.
Doch diesmal war es, als flüsterte die rote Seide ihr unablässig ins Ohr, bis sie ihr Buch schließlich zur Seite legte und aus Zeitungspapier ein Schnittmuster für ein Kleid erstellte. Danach kam es ihr dumm vor, nicht auch den nächsten Schritt zu wagen, deshalb schnitt sie auch den Stoff zu und fing an zu nähen, nur um eine Beschäftigung zu haben.
Und während sie das tat, breitete sich in ihr ein Gefühl aus, das einfach nur beglückend war – Hoffnung.
Dann, am frühen Samstagabend, war das Kleid fertig. Es entsprach der neuesten Mode, wie man sie in den großen Städten trug, mit V-Ausschnitt, tief sitzender Taille und Taschentuchsaum. Ein gewagtes Kleid. So etwas trugen Frauen, die die Nächte durchtanzten und keine Sorgen kannten. »Flapper« wurden sie genannt. Junge Frauen, die ihre Freiheit zur Schau stellten, die Schnaps tranken, rauchten und in Kleidern tanzten, deren Säume die Beine bis zu den Knien freigaben.
Elsa beschloss, das Kleid wenigstens anzuprobieren, selbst wenn sie es niemals außerhalb ihres Zimmers tragen würde.
Sie nahm ein Bad, rasierte ihre Beine und zog Seidenstrümpfe an. Die feuchten Haarsträhnen wickelte sie jeweils um einen Finger, befestigte sie mit einer Haarklammer und betete, dass daraus so etwas wie Wellen wurden. Während das Haar trocknete, schlüpfte sie in das Zimmer ihrer Mutter und holte sich einige ihrer Schminkutensilien. Von unten drang Musik herauf, offenbar hatte jemand eine Schallplatte aufgelegt.
Wieder in ihrem Zimmer, bürstete sie ihr Haar aus, das sich tatsächlich leicht gewellt hatte, und setzte das glänzende Stirnband auf. Dann streifte sie das rote Kleid über, das sich wie eine zarte Liebkosung um ihren Körper legte. Sie begutachtete sich im Spiegel und staunte, wie schön der asymmetrisch fallende Saum ihre langen Beine zur Geltung brachte.
Sie führte ihr Gesicht dicht an den Spiegel heran, umrandete ihre Augen mit einem Kajalstift und puderte ihre vorspringenden Wangenknochen blassrosa. Dann trug sie roten Lippenstift auf, der ihre Lippen voller wirken ließ, genau wie es die Modemagazine versprachen.
Als sie sich danach im Spiegel betrachtete, dachte sie:Sieh einer an,beinahe könnte man mich hübsch nennen.
»Du