: Titus Müller
: Stille Nacht
: Adeo
: 9783863347529
: 1
: CHF 7.20
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die letzten Töne des Liedes hallten nach. Dann war es still in der Kirche. Die Leute sahen mit großen Augen zur Krippe hin. Endlich kamen Einzelne und bedankten sich. Es wurden immer mehr, sie wollten unbedingt Josephs Hand schütteln und die von Franz. 'Stille Nacht, heilige Nacht' - am Heiligabend 1818 erklang das Lied zum ersten Mal. Heute gilt es als das bekannteste Weihnachtslied der Welt. Eingewoben in eine Erzählung voller Licht und Schatten, Brüche und Versöhnung erzählt Titus Müller, wie es entstand. 'Stille Nacht, heilige Nacht' ist eines der erfolgreichsten Lieder der Welt. Und immer wieder berührt es die Menschen, die es singen. Wo kommt es her? Und wem verdanken wir den Text und die Melodie? Das hat mich interessiert. Titus Müller

Titus Müller studierte in Berlin Literatur, Mittelalterliche Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Mit 21 Jahren gründete er die Literaturzeitschrift 'Federwelt'. Seine Ratgeber und historischen Romane begeistern viele Leser. Titus Müller ist Mitglied des PEN-Club und wurde u.a. mit dem 'C. S. Lewis-Preis' und dem 'Sir Walter Scott-Preis' ausgezeichnet.

Der Innenraum der Keusche war sauber gefegt. Es gab keine Stühle, nur eine Sitzbank, die mit der hölzernen Hauswand verschraubt war, und davor einen wackeligen Tisch. Der Alte bat ihn, Platz zu nehmen. Er machte Feuer, stellte den Wasserkessel auf den Kochofen und holte aus einer kleinen Nebenkammer einen Schemel, um sich darauf zu setzen, Joseph gegenüber. „Sie sind also Priester.“

„Wie gesagt, ich hatte einen Förderer, sonst wäre das nie was geworden.“

Der Greis schwieg. Ihm schien die Stille nichts auszumachen. Sein Atem ging ruhig und die faltige Hand lag still auf dem Tisch. Er sah in die Ferne, als würde er nachdenken. Seine Augen schimmerten von Tränenflüssigkeit, wie es die Augen der Alten zu tun pflegen.

Joseph fragte: „Hat er hier gelebt? In diesem Haus, meine ich.“

„Franz? Nein. Damals wohnten wir in Stranach unten.“

„Geschwister hatte er nicht?“

„Keine Geschwister.“

Der Teekessel begann zu singen. Ein schwacher Ton, der sich in die Höhe schraubte und dabei lauter wurde, bis er zum dringlichen Pfeifen geworden war. Der Alte stand auf, ging zum Ofen und nahm den Kessel herunter. Er schippte mit einem Löffel Kräuter in ein eisernes Sieb. Das hängte er in einen Krug und überbrühte es mit dem kochenden Wasser.

„Wie war er?“, fragte Joseph.

Der Alte blies Luft durch die Lippen, als habe man ihm eine schwere Rechenaufgabe gestellt. „Groß. Schlank. Ein feiner Kerl.“ Er brachte Tassen.

„Haben Sie ihn oft gesehen? Hat er Sie besucht?“

Der Alte verschwand in der kleinen Kammer nebenan. Er kehrte mit einem Blatt Papier zurück und legte es vor Joseph auf den Tisch. Es zeigte eine Kinderzeichnung, ein Baum war zu erkennen und Wolken und Vögel. „Das hat er gemalt, als er zehn war, glaube ich.“

Seltsam, ein Relikt aus der Kindheit des Vaters zu sehen. Auch Franz Mohr war einmal jung und verletzlich gewesen. „War er gut in der Schule?“

„Es geht.“

Besonders gesprächig war der Alte nicht. Joseph sagte: „Wie kommt es, dass er Musketier geworden ist?“

„Das haben wir uns auch gefragt. Er hätte hier im Lungau bleiben können. Aber plötzlich hatte er diese Idee, nach Salzburg zu gehen.“

Wer weiß, was er sich von der großen Stadt erträumt hat, dachte Joseph. Immerhin hat er Arbeit gefunden. Und meine Mutter, eine Frau, die ihn geliebt hat. Wahrscheinlich hat sie ihn mehr geliebt, als ihm bewusst war. Nachdem er gegangen war, hat sie es mit keinem Mann mehr lange ausgehalten.

„Es wird dunkel“, sagte der Alte. „Trinken Sie Ihren Tee. Wenn Sie noch bei Tageslicht ins Tal kommen woll