: Katja Koch, Mathias Brodkorb
: Der Abiturbetrug Vom Scheitern des deutschen Bildungsföderalismus. Eine Streitschrift
: zu Klampen Verlag
: 9783866747517
: 1
: CHF 10.70
:
: Gesellschaft
: German
: 148
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das deutsche Abitur war jahrzehntelang ein Qualitätssiegel. Bildung »made in Germany« genoss hohes Ansehen in der Welt und versprach mit dem Abitur als ihrem schulischen Höhepunkt freien Hochschulzugang und gesellschaftlichen Aufstieg. Wird das Versprechen heute noch eingehalten? Das Bild, das die Schulen und die von ihnen vergebenen Abschlüsse bieten, gibt eine eindeutige Antwort: Kaum jemand kann noch darüber hinwegsehen, dass das Leistungsniveau in deutschen Schulen nicht nur in alarmierendem Maße sinkt, sondern im Vergleich der Bundesländer auch noch eklatante Unterschiede aufweist. Obwohl das bildungspolitische Chaos und die skandalöse Ungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem offensichtlich sind, herrscht über die entscheidende Ursache für den Niedergang weitgehend Unklarheit. Katja Koch und Mathias Brodkorb zeigen, dass der mit guten Gründen vor siebzig Jahren eingeführte Bildungsföderalismus inzwischen absurde Blüten treibt: Während einige Bundesländer hohe Anforderungen stellen, machen es andere ihren Abiturienten leicht. So hängt das Abiturergebnis heute eher von der Gnade der Geburt als von der schulischen Leistung ab. Leidtragende sind nicht nur Schüler und ihre Eltern.

Katja Koch, geboren 1970, studierte Sonderpädagogik und habilitierte sich, nach Referendariat und Promotion in Rostock, im Jahr 2007 in Würzburg. Seit 2008 ist sie Professorin für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung an der Universität Rostock.

Der Morbus Germann oder: Das deutsche Abitur im Chaos


Stellen Sie sich vor, Sie wären König von Deutschland und wollten ein gerechtes Schulsystem aufbauen. Sie müssten gar kein Experte sein, um sich folgenden Plan zurechtzulegen: Zunächst hätten Sie zu bestimmen, an wie vielen Tagen in der Woche die Kinder in welchem Alter zur Schule gehen sollten. Und natürlich, wie viele Stunden Unterrichts sie jeweils besuchen müssten.

Plastischer konnte man die schreiende Ungerechtigkeit des deutschen Abiturs kaum auf den Punkt bringen. Immerhin können Zehntel und Hundertstel einer Abiturnote darüber entscheiden, ob ein Abiturient seinen Wunschstudiengang studieren kann oder nicht. Das Ergebnis empörte die Öffentlichkeit für eine gewisse Zeit, bewirkte aber wenig.

Das Ergebnis allerdings ist: Chaos und Ungerechtigkeit.

Zahl der Unterrichtswochenstunden und Kurse


Alles beginnt damit, dass die Länder ab der Klassenstufe fünf mindestens 265 Wochenstunden Unterrichts gewährleisten müssen, damit ihr Abitur bundesweit Anerkennung finden kann. Da das Abitur jedoch in manchen Ländern nach acht und in anderen nach neun Jahren erworben wird, ergibt sich in den Ländern auch eine unterschiedliche Anzahl von Unterrichtsstunden in den letzten beiden Schuljahren (Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe). Damit, und das ist schon das erste Problem, ist es rechnerisch nicht möglich, einheitliche Stundentafeln für alle Länder festzulegen. Deshalb werden für diese Qualifikationsphase anstelle von Stunden lediglichKurse vorgegeben. Kurse – das sind die in einem der vier Halbjahre der Qualifikationsphase zu belegenden Fächer. Mit diesem Trick können die Unterschiede bei der Zahl der Unterrichtsstunden wegdefiniert werden. Die Bandbreite zwischen den Ländern liegt hier nach Angaben der Kultusministerkonferenz zwischen 34 und 48 zu belegenden Kursen.

Es kann folglich keinewirklich verbindliche Regelung dafür geben, wie viele Fächer und Stunden in der Qualifikationsphase belegt werden müssen und mit ihren Noten in die Endnote eingehen. Geregelt ist lediglich die Mindestbelegungspflicht von 34 Kursen, darunter verpflichtend bestimmte Fächer. Je nach Umfang der tatsächlich zu belegenden und in das Abschlusszeugnis einzubringenden Kurse können Schüler somit ihre Abiturdurchschnittsnote »gestalten«. Ob sie aus taktischen Gründen besser »nur« Biologie wählen, nicht aber Physik, weil sie in ihrem Land nur eines von beiden »belegen« müssen, oder ob sie die miserablen zwei Punkte des Erdkundekurses besser gar nicht »ins Abi einbringen« – genau mit solchen Überlegungen zerbrechen sich unsere Abiturienten ihre Köpfe, und zwar desto mehr, je mehr Freiheiten ihnen die Regelungen dazu lassen. Und so kommt es, dass nicht wenige unserer Oberstufenschüler mehr Fle