Folge 61
Der Schlüssel zur Versöhnung
von Roman Schleifer
»Kann ich dir helfen?«
Die Frage riss Chiakli Sohong aus den Gedanken. Irritiert blickte sie die Frau mit dem samtbraunen Teint und dem lächelnden Gesicht an und lugte zum Namensholo auf der Brust. »Ehrlich gesagt: Ja.«
Zhang Li musste soeben aus der Kantine gekommen sein, vor der Chiakli seit einigen Minuten grübelnd verharrte. Das entspannte Flair an Bord der STELLARIS verunsicherte sie und ließ sie an dem Geheimauftrag zweifeln.
»Als ich letztes Jahr meinen Dienst angetreten habe«, sagte Zhang Li, »war ich auch desorientiert.« Durch die Lachfalten um ihre sichelförmigen Augen wirkte sie sympathisch. »Du bist Passagierin?«
»Eine der Funarierinnen unterwegs zur Friedenskonferenz zwischen den Urmern und uns«, bestätigte Chiakli, bemüht um eine feste Stimme.
Die Frau mit den vielen Sommersprossen hob in terranischer Manier den Daumen. »Eine gute Mission.« Sie drehte sich in Richtung des Speiseraums. »Essen oder trinken?«
Chiakli horchte in sich hinein. Hunger hatte sie keinen. »Ich weiß nicht, Zhang. Ist es nicht zu spät für einen Drink?«
Zhang Li lächelte. »Der Beginn der Nachtschicht eignet sich bestens für ein Getränk.« Sie nahm Chiakli am Unterarm und führte sie in die Kantine. »Und nenn mich bitte Li. Zhang ist mein Nachname.«
Von allen Seiten strömten unbekannte, exotische Gerüche auf Chiakli ein. Auch die Geräusche waren ihr fremd. Die Raumfahrer scherzten, lachten, diskutierten und gestikulierten. So viele fröhliche Lebewesen hatte sie noch nie in einem Raum gesehen.
Sie war ernste, versteinerte Gesichter gewohnt. In den Kriegsschiffen der Funarier schwiegen die Kameraden sich zumeist an. Und sofern sie doch einmal redeten, drehte sich alles um Kämpfe, Gefechte, Schlachten oder Verwundungen.
Dennoch bevorzugte sie funarische Raumer. Das Treiben an Bord der STELLARIS wirkte wie ein Schmierentheater: schön, kitschig und eben gespielt.
Es ist wie auf Rokat!
Die Stimmung erinnerte sie an ihre Kindheit auf dem Forschungsmond. Damals hatten ihre Eltern noch gelebt, die sie von den Kampfhandlungen ferngehalten hatten. Ihr Vater wäre mit der Familie sofort desertiert und hätte den Krieg hinter sich gelassen, doch ihre Mutter hatte ihn gezwungen zu bleiben.
Plötzlich spürte sie eine Sehnsucht nach dieser Zeit, in der sie unbekümmert gewesen war und keine Verantwortung getragen hatte. Schmerzhaft wurde ihr der Druck bewusst, der auf ihr lastete: Die Geheimmission musste erfolgreich sein! Zeitgleich schauderte sie, sobald sie an die Konsequenzen dachte.
Der Aufenthalt auf der STELLARIS hatte ihre Meinung ins Wanken gebracht. Sie war sich nicht mehr sicher, ob die Mission der richtige Weg für ihr Volk war.
»Willkommen am heiligen Gral.« Li tippte auf den Tresen. Sofort baute sich eine holografische Getränkekarte auf.
Chiakli rieb sich die Augen. Konnte sie wirklich aus 287 Cocktails wählen?
»Vinor!«, rief Li. »Kundschaft!«
Ein blonder Mann, der sich am anderen Ende der Bar mit einem Jülziish unterhielt, winkte ihnen zu. Auf Funar hätte ihm jede Frau nachgesehen – nicht nur einmal.
Li wandte sich zu ihr. »Ich übergebe dich in die professionellen Hände des besten Barkeepers der zivilen Flotte der LFG, Vinor Canube. Keine Ahnung, wie er es schafft, aber er findet immer das zu deiner Stimmung passende Getränk.« Sie tätschelte Chiaklis Schulter und deutete zum Ausgang. »Mich ruft die Pflicht.« Nach ein paar Schritten blieb sie stehen und drehte sich um. »Ich bin übrigens die Bordmedikerin.«
Ein herber Geruch mit einem Schuss Vanille lenkte Chiakli ab. Vinor lehnte ihr gegenüber an der Bar. »Du bist eine der Friedensbotschafterinnen, nicht wahr?«
Sie starrte ihn an, konnte dem Blick der grauen Augen nicht ausweichen.
»Finde ich