: Hauke Branding, Rogdrigo Duarte, Wolfram Ette, Samir Gandesha, Andreas Greiert, Pola Groß, Johan F.
: Gerhard Schweppenhäuser, Sven Kramer
: Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 46/47 24. Jahrgang (2018)
: zu Klampen Verlag
: 9783866747272
: 1
: CHF 23.60
:
: 20. und 21. Jahrhundert
: German
: 292
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die »Zeitschrift für kritische Theorie« ist ein Diskussionsforum für die materiale Anwendung kritischer Theorie auf aktuelle Gegenstände und bietet einen Rahmen für Gespräche zwischen den verschiedenen methodologischen Auffassungen heutiger Formen kritischer Theorie. Sie dient als Forum, das einzelne theoretische Anstrengungen thematisch zu bündeln und kontinuierlich zu präsentieren versucht. www.zkt.zuklampen.de

Hauke Branding

Der Racketbegriff der Kritischen Theorie


Versuch eines Problemaufrisses*

Der Begriff ›Racket‹ wurde in den 1940er Jahren von Adorno und Horkheimer in die Kritische Theorie aufgenommen. Er ist dem amerikanischen Slang entlehnt, bezeichnet Schutzgelderpresserbanden (racketeering = Schutzgelderpressung) und wurde in der US-amerikanischen Sozialwissenschaft der 1920er und 1930er Jahre sowohl für die Beschreibung von kriminellen Organisationen als auch für Monopolisierungsstrategien und-praktiken von Großunternehmen verwendet. Der Begriff bezeichnete mithin Aneignungsformen, die sich illegaler oder halblegaler Mittel bedienten.1 Unter dem Eindruck einer zunehmenden (monopolkapitalistischen) Tendenz zur Zentralisierung, einer (politischen) Kontrolle der Produktion und Produktionsmittel sowie einer damit einhergehenden Veränderung der (bürgerlichen) Herrschaftsformen versuchten Adorno und Horkheimer, ihn für die Kritische Theorie fruchtbar zu machen. Verbunden mit diesen Tendenzen war auch die Ausbreitung von Korruption sowie die Ausbildung kartellartiger und mafiöser Strukturen, die politische und ökonomische Macht in sich vereinigtenund gängige bürgerliche Vermittlungsformen (Recht, Konkurrenz über den Markt) in Frage stellten.

Trotz unzähliger (Krisen-)Phänomene, die sich unter diesem Gesichtspunkt auch heute alsRacketisierung beschreiben ließen, findet sich einwissenschaftlicher Bezug auf den Racketbegriff kaum noch. Ob sozialwissenschaftliche Beschreibungen der Gesellschaften des sogenannten globalen Südens, osteuropäischer Transformationsgesellschaften oder der Bürgerkriege in sogenannten ›failed-states‹ und Kleptokratien, ob ›postdemokratische‹ Krisen oder der Ausnahmezustand in den globalen Zentren: Der Begriff des Rackets findet sich in den Analysen nicht; ganz unabhängig davon, ob diese Phänomene als Effekte der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt, als Bedeutungsverlust des Staates und der sozialen Integrationsfähigkeit der Gesellschaft, als grundsätzliche Nicht-Ausprägung staatlicher Strukturen oder als Resultate einer neoliberalen Hegemonie verstanden werden. Das ist insoweit bemerkenswert, als in diesen Beschreibungen fast übereinstimmend die Herausbildung von Mafias, Kartellen, islamistischen Terrorcliquen oder ähnlichen Bandenstrukturen als Effekt der Verschärfung gesellschaftlicher Verteilungskämpfe dargestellt wird, die in extremen Fällen gar zur Transformation der jeweiligen politischen Ordnung führen könne. Innerhalb des europäischen Kontextes erscheinen die gegenwärtigen Auseinandersetzungen mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus von besonderer Bedeutung für diese Frage. Dessen kollektive Mobilisierung von Ressentiments bringt nicht nur eine konfor