: Heinrich Böll
: Jochen Schubert
: Erzählungen
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462300536
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 525
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als Heinrich Böll 1972 den Literaturnobelpreis erhielt, wurde er als einer der bedeutendsten Romanciers seiner Zeit gewürdigt. Mindestens ebenso groß ist sein Rang als Meister der kurzen Form. Dieser Band präsentiert Bölls Erzählungen aus vier Jahrzehnten! Es beginnt im Jahr 1937 mit der Erzählung »Jugend« und endet 1982 mit der Humoreske »In welcher Sprache heißt man Schneckenröder?«: Heinrich Böll hat seine literarische Laufbahn mit Kurzgeschichten eröffnet, und er ist diesem Genre Zeit seines Lebens treu geblieben. Der Erfolg der frühen Erzählungen aus den Jahren nach dem Krieg setzte sich in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren fort, in denen Böll die kurze literarische Form zur Vollendung führte. Der von Jochen Schubert herausgegebene Band bietet eine umfassende Auswahl aus dem erzählerischen Werk Heinrich Bölls und folgt dabei mehreren Gesichtspunkten: Neben den bekanntesten Erzählungen stehen solche, die aufgrund ihres Themas und ihrer Erzählweise repräsentativ sind, und andere, die bisher noch gar nicht oder nur an schwer zugänglichen Orten veröffentlicht wurden. Die insgesamt 75 Erzählungen dokumentieren auf anschauliche Weise das Schaffen Bölls in diesem Genre, bieten eine Fülle von Lesestoff und dazu unter dem Titel »Gibt es eine deutsche Story?« einen nicht mehr zugänglichen Essay Bölls aus dem Jahre 1953. Der Band wird ergänzt durch ein editorisches Nachwort des Herausgebers.

Heinrich Böll, 1917 in Köln geboren, nach dem Abitur 1937 Lehrling im Buchhandel und Student der Germanistik. Mit Kriegsausbruch wurde er zur Wehrmacht eingezogen und war sechs Jahre lang Soldat. Seit 1947 veröffentlichte er Erzählungen, Romane, Hör- und Fernsehspiele, Theaterstücke und zahlreiche Essays. Zusammen mit seiner Frau Annemarie war er auch als Übersetzer englischsprachiger Literatur tätig. Heinrich Böll erhielt 1972 den Nobelpreis für Literatur. Er starb im Juli 1985 in Langenbroich/Eifel.

Jugend


1937

In der dunklen Webergasse der alten Stadt Köln, im Hofe des alten baufälligen Hauses, betrieb der alte Meister Bolanders sein Handwerk als Schreiner. Mit zwei alten Gesellen, die nicht lange nach Lohn frugen, wenn der Meister samstags mit einem hoffnungslosen Gesicht von seinen Gängen zurückkam, hatte er genügend Arbeit, und es hätte es wohl auch allen dreien zum Leben dienen können, wenn nicht ein geheimes Untier allen Verdienst aufgefressen hätte, und dieses Ungeheuer, das unsichtbar, aber unersättlich und unerbittlich an der Schwelle des alten Hauses lag, hieß Unkosten. Die Inflation hatte das kleine Barvermögen des Meisters, das nur dazu dagewesen war, im Falle der Not für Wochen und Monate als Lohn für die Gesellen zu dienen, aufgeschluckt, und die folgenden Jahre, da die Nachwehen des schrecklichsten aller Kriege wie graue Ungeheuer aus dem Boden aufwuchsen, da hatte der Meister in sonderbarer kindlicher Weise sein heiteres und üppiges Leben weitergeführt, hatte Arbeit auch um billige Preise angenommen, um nur die Gesellen nicht entlassen zu müssen, und es hatten sich, ohne daß der ahnungslose Meister etwas wußte, Schulden angehäuft, die unmerklich ins Schreckliche wuchsen. Und eines Tages hatte es Zahlungsbefehle und Pfändungen geregnet; was der Meister noch an Wertgegenständen besaß, wurde gepfändet und verkauft, die Außenstände wurden mit Beschlag belegt, und sein kleines freundliches Wohnhaus vor der Stadt geriet unter den Hammer. Wenn auch dadurch die größten Schulden bezahlt wurden, so blieben doch noch eine Menge kleinerer Beträge zwischen hundert und tausend Mark, deren Gläubiger sich auf den letzten Rest von Habseligkeiten warfen, das kleine Haus mit der Werkstatt in der Webergasse, die wenigen Möbel, die gerettet worden waren; und um den Ver