2. KAPITEL
Ben zog sich den Smoking an und steckte gewissenhaft die Trauringe in die Hosentasche. Im Raum nebenan knarrten die Bodenbretter. Es war Sierras Zimmer. Stylte sie gerade ihr Haar? Legte sie Make-up auf? Zog sie sich an? Im Geist sah er sie unbekleidet vor sich. Die Vision erregte ihn.
War sie wirklich so unschuldig, wie sie wirkte? Konnte er ihr glauben, dass sie nichts von ihm wollte?
Er dachte daran, wie seine Mutter damals verschwunden war – an die Verbitterung seines Vaters, an die Traurigkeit seiner Brüder, an seine eigene Angst, dass sie fortgegangen war, weil er etwas falsch gemacht hatte.
Sollten Mütter ihre Kinder nicht bedingungslos lieben?
Im Badezimmer nebenan rauschte Wasser. Nach einer Weile verstummte es wieder. Ben stellte sich vor, wie Sierra ihre vollen Lippen nachzog und ihr üppiges Haar bürstete.
Dann dachte er an die bitteren Erfahrungen mit seiner Exverlobten. Louisa war schön, auf eine vornehmere Art als Sierra. Sie war durch und durch Geschäftsfrau und strebte eine Karriere in der Werbebranche an. Deshalb war er davon ausgegangen, dass sie Verständnis dafür aufbrachte, dass er von früh morgens bis spät abends und an Wochenenden arbeitete. Ein großer Irrtum. Stattdessen hatte sie sich die Zeit mit einem anderen Mann vertrieben und Ben bei der Trennung etwas gesagt, was er nicht vergessen konnte:Ich fühle mich allein, selbst wenn ich mit dir im selben Zimmer bin.
Er wusste nicht genau, was das bedeuten sollte.
Anstatt der Vergangenheit nachzuhängen oder sich mit Sierra zu befassen, die ihn mehr aufwühlte, als ihm lieb war, richtete er die Aufmerksamkeit ganz bewusst auf eine andere Situation, die ihn sehr beschäftigte.
Am vergangenen Abend, als er nach einem Basketballtraining im Jugendzentrum über den öffentlichen Parkplatz zu seinem Auto gegangen war, hatten sich ihm die Nackenhaare gesträubt. Obwohl er seit Jahren einen Schwarzen Gürtel in Karate besaß, waren seine Fähigkeiten eingerostet. Also hatte er vorsichtshalber sein Taschenmesser herausgeholt und aufgeklappt.
Hinter einem Truck tauchte plötzlich ein Mann auf – von durchschnittlicher Größe, in Jeans und übergroßem schwarzem Hemd, mit braunen strähnigen Haaren. „Hallo, Mr. Staatsanwalt.“
„Ich habe fünfzig Dollar in bar und eine Kreditkarte bei mir“, erwiderte Ben in sachlichem Ton.
„Ich will Ihr Geld nicht. Sie sollen bloß meinen Bruder in Ruhe lassen. Er ist unschuldig.“
„Wer ist denn Ihr Bruder?“
„Charlie Levsin. Wenn Sie ihn nicht freilassen, könnte Ihnen etwas zustoßen.“