Erstkontakt
November 2049 – März 2060 NGZ
Der Abendwind hatte dicke Wolken vom Ozean tief ins Land getrieben. Sie stauten sich an den Spitzen der Mitanas-Bergkette über dem dichten Bergwald, unter dessen verwobenem Blätterdach Meve von Pikur auf einem der obersten Äste eines Urwaldriesen saß. Die tief stehende Sonne küsste die Wolkenunterseiten mit ihren grellweißen Strahlen und konturierte deren Gestalt mit wechselnden Grau- und Gelbtönen. Unvermittelt stürzten Regenschleier herab, legten ihren Weichzeichner über Berge und Wald und brachten die Blätter zum Rauschen.
Meve aktivierte einen niederenergetischen Prallschirm, der ausreichte, um die Wassertropfen abzuleiten, und atmete die feuchtigkeitsschwangere Luft tief ein. Die einsetzende Kühle tat gut nach der drückenden Schwüle, die gegen Ende des – nach ihren eigenen Zeitstandards wochenlangen – Planetentages geherrscht hatte. Deshalb nutzte sie das Prallfeld, statt den Helm ihres Einsatzanzugs zu schließen, der sie völlig von der Umwelt abgeschottet hätte.
Ihre Aufmerksamkeit galt allerdings nicht dem Wetterereignis oder dem Wald, der von Windböen in wellenartige Bewegung gesetzt wurde, so überwältigend sie die unberührte Landschaft des Planeten mit ihren verflochtenen Baumriesen auch fand.
Am Anfang hatte sie sich kaum sattsehen können, wenn während des langen Morgens und Abends die tief stehende Sonne die zahlreichen Grüntöne der Baumkronen zum Leuchten brachte. Mit allen durch Farbstoffkombinationen in den Lichtsammlern möglichen Farbvarianten und Helligkeiten von sattem Grün bis fast zum kompletten Schwarz bot sich ein stets wechselhaftes, faszinierendes Licht- und Schattenmuster – und das oft genug innerhalb der Krone eines einzelnen Baumes.
Die Flora dieser Welt im Orbit um einen leuchtschwachen weißen Zwerg konnte es sich nicht leisten, auch nur ein Quäntchen Licht zu verschwenden. Alles wurde in den fleischigen Blättern aufgefangen, notfalls in brauchbare Wellenlängen konvertiert und entweder sofort für Wachstumsprozesse genutzt oder in energiespeichernde Verbindungen umgesetzt, die als Nahrungsdepots entlang der Stämme und in den Wurzeln angesammelt wurden. Die komplexen Symbiosen, die diese optimale Energienutzung ermöglichten, brachten jeden Kosmobiologen ins Schwärmen. Diesmal aber ignorierte Meve sie.
Ihre Aufmerksamkeit galt auch nicht der bunten Biodiversität, die sich unter dem schützenden Dach inmitten des verbleibenden Zwielichtes ausbreitete. Eine Unmenge Symbiosen begannen dort. Pilze und Rankpflanzen hatten ihre Wurzelfäden in die Stämme getrieben, profitierten von den transportierten und deponierten Energieträgern und gaben dafür Nähr- und Farbstoffe zurück, die der Baum nicht selbst synthetisieren konnte.
Gleichzeitig schwängerten ihre bunt schillernden und vielfältig geformten Blüten, pumpenden Sporenrüssel und aromatisch duftenden Schwenkblätter die Luft mit Samen, Sporen und Lockstoffen. Sie stellten gleichzeitig Nahrung und Gefahr für die unzähligen Kleinlebewesen dar, die auf und zwischen den Stämmen im nach unten immer tiefer werdenden Schatten des Blätterdachs liefen, sprangen, schwebten und surrend flogen.
Dort schloss sich wieder ein Kreis: Wer auf der Suche nach immer weiteren Sporen und Pollen den falschen Lockstoffen zu ihrer Quelle folgte, landete nicht selten zappelnd im Inneren einer Blätterkugel oder eines Kelches, um langsam selbst in Nährstoffe für seine Nahrungsspender umgewandelt zu werden.
Nein, friedlich war die Umwelt des sonnennächsten Planeten von OI-11587-523 nicht. Das war aber nicht weiter überraschend. Vom Anbeginn des Lebens an, selbst im Z