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›Haben Sie wirklich nichts von der Affäre gewusst?‹
›Sie müssen doch etwas gemerkt haben, Aeryn! Das glaubt Ihnen doch kein Mensch!‹
›Um wie viel Geld geht es, Aeryn?‹
Die Stimmen überschlugen sich in Aeryns Ohren. Schlagartig hob sie den Kopf. Vor ihr tauchte plötzlich, wie aus dem Nichts, eine Schafherde auf. Nur wenige Meter trennten sie und die wolligen Vierbeiner, die sie müde anstarrten. Schnell näherte sich Aeryns Wagen den Tieren. Wenn sie nicht bald bremste, würde sie mindestens eines von ihnen erwischen. Vermutlich sogar mehrere. Adrenalin durchströmte ihre Adern, und sie trat wie von der Tarantel gestochen auf die Bremse. Die Reifen quietschten. Aeryn spürte, wie die Karosserie unter ihr über die nasse Straße schlitterte. Mit weit aufgerissenen Augen umklammerte sie krampfhaft das Steuer. Schweiß bildete sich unter ihren Achseln. Dann, mit einem Ruck, stoppte der Wagen. Das Schaf, höchstens einen Zentimeter von ihrer Motorhaube entfernt, kaute genüsslich auf einem Grashalm und blickte Aeryn verständnislos an.
»Verdammt!« Aeryn ließ sich in den Sitz fallen und schloss ihre Augen. Sie holte tief Luft und versuchte das immer noch in ihr tobende Adrenalin zu zügeln. Als sie die Lider wieder hob, trotteten die Schafe gemütlich zur anderen Straßenseite, und Aeryn starrte auf ihre Fingerknöchel, die weiß unter ihrer Haut hervortraten. So fest umfasste sie noch immer das Steuer. Sie traute sich nicht loszulassen. Ein Zittern durchdrang ihren Körper.
Aeryn brauchte eine Pause. Zu lange war sie schon unterwegs. Und wie man soeben gesehen hatte, war ihr Kopf noch immer gefüllt mit den schrecklichen Fragen, die nur wenige Stunden zuvor auf sie eingeprasselt waren.
Langsam betätigte Aeryn das Gaspedal, und das Auto rollte wieder los. Erleichtert stellte sie schon nach der nächsten Kurve fest, dass sie den Rand einer Ortschaft erreicht hatte. Sie fuhr auf einen kleinen Rastplatz, der an die Tankstelle des Städtchens angeschlossen war, und stieg aus dem Auto. Erschöpft streckte sie sich und sog die frische Meeresluft ein. Tankstelle und Rastplatz lagen unweit der rauen Küste, die das Land von der aufbrausenden Irischen See trennte. Sie konnte die aufschlagende Brandung hören und schloss erneut die Augen. Von den Anstrengungen der letzten Tage und Stunden gezeichnet, lehnte sie sich gegen die Fahrertür ihres Jahreswagens. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte sie die Schafherde mit voller Geschwindigkeit erwischt. Wie konnte sie nur so unachtsam sein? Unachtsam, das war vermutlich die Untertreibung des Jahrhunderts, dachte Aeryn sarkastisch. Sie war auf der Flucht. Auf der Flucht vor ihrem Leben. Und sie hatte absolut keine Ahnung, wo sie hingehen sollte.
›Haben Sie wirklich nichts von der Affäre gewusst?‹
Wieder ertönten die schrillen und bellenden Stimmen der Klatschreporter in ihrem Kopf. Aufgelauert hatten sie ihr. Ohne jede Vorwarnung. Aeryn hatte ein frühes morgendliches Training in der Irish Dance Academy absolviert. Teils um wirklich an ihrer Form zu arbeiten, vor allem jedoch, um den Kopf frei zu bekommen. Sie war gerade aus dem Gebäude gekommen, als sie plötzlich von einer Traube Journalisten umgeben war. Aufgeregt hatten sie ihr Smartphones, Aufnahmegeräte und Kameras unter die Nase gehalten und sie mit Fragen bombardiert.
Ob sie von der Affäre tatsächlich nichts gewusst hatte? Himmel nochmal, nein! Was dachte dieser schmierige Reporter eigentlich von ihr? Drei Jahre war Aeryn mit Trevor Cox zusammen gewesen. Beide waren Tänzer