Einleitung
DIE Gesellschaft ändert sich gravierend, in einer Geschwindigkeit und Richtung, die noch vor einem Jahrzehnt kaum vorstellbar war. Grundfeste der bürgerlichen Ordnung werden infrage gestellt: Nicht nur punktuell, wie es im Laufe der Zeit immer wieder und teils mit erfrischender Wirkung geschah. Nunmehr kumulieren einzelne, ursprünglich separierte Anliegen zu einer Bewegung, die sich machtvoll in Szene setzt und zunehmend an Einfluss gewinnt. Sie strebt einen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel an, ein neues kulturelles Selbstverständnis, das mit dem bisherigen an entscheidenden Stellen bricht.
In den Vereinigten Staaten ist diese Entwicklung am weitesten vorangeschritten. Dort ist inzwischen ein regelrechter Kulturkampf entbrannt zwischen den sich als fortschrittlich verstehenden, vor allem der Identitätspolitik verpflichteten Kräften und jenen, die ihnen widersprechen, weil sie Ordnungsverluste fürchten und ihre persönliche Freiheit bedroht sehen. Die politische Korrektheit ist dabei eine wesentliche Größe. Zunächst hatte sie ein überaus berechtigtes Anliegen: Unerkannte oder nicht ausreichend beachtete Herabsetzungen von Personengruppen oder einzelnen sollten aufgedeckt und es sollte ihnen entgegenwirkt werden, unter anderem durch einen sensibilisierten Sprachgebrauch. Dabei stieß sie, historisch betrachtet, auf ein lohnendes Arbeitsfeld. Inzwischen ist die politische Korrektheit weit über ihr ursprüngliches Ziel hinausgeschossen. »Den Zustand der gebotenen Antidiskriminierung hat PC längst verlassen. Sie ist zum politischen Entwurf geworden, der die Gesellschaft und den Staat umkrempeln soll.«1
Immer mehr Gruppierungen stellen an sich in immer feineren Verästelungen Diskriminierungen und Benachteiligungen fest. Immer lauter wird ihr Ruf nach Entschädigung und Wiedergutmachung, geradezu in einem Wettkampf darum, wem die größte Opferrolle gebührt. Oft unter Verweis auf eine Intersektionalität, die Konkurrenzvorteile erbringen soll. Mit den gesteigerten Sensibilitäten wächst auch das Bedürfnis nach Sprachkontrolle, darüber, was gesagt werden darf und was nicht. Und nach Sanktionen für diejenigen, die sich nicht daran halten. Häufig reicht allein der Umstand aus, dass sich jemand gekränkt fühlen könnte, um Verbote zu begründen.
Dieses Anliegen stößt auf große gesellschaftliche Resonanz: in den Medien, in Parteien, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, diversen sozialen Verbänden und Unternehmen. Das Machtbegehren, das damit einhergeht, wird verständnisvoll aufgenommen, der Anspruch auf moralische Hegemonie oft sogar offen unterstützt. Irgendwie, diese diffuse Formel ist berechtigt, scheint es, dass etwas angesprochen wird, das Aufgeklärtheit verspricht und gute Gefühle vermittelt, vor allem Schuldfreiheit und die narzisstische Gratifikation, weltoffen auf der Seite des Fortschritts zu stehen.
Gender-, Anticolonial-, Critical Whiteness- und Antirassismusstudien, im Gesamtkonzert der Wissenschaften allenfalls kleine Nebenstimmen, werden stark wahrgenommen. Hier zahlt sich aus, dass sich ihre wissenschaftliche Erkenntnissuche wie in kaum einer anderen Disziplin mit politischem Sendungsbewusstsein vermischt. Der moralische Druck, den sie ausüben, ist ausgesprochen hoch und er fällt auf einen aufnahmebereiten Boden. An amerikanischen Universitäten haben sie eine Machtposition errungen, die sich kaum noch begrenzen lässt. Einschränkungen des freien D