: Gustave Flaubert
: Elisabeth Edl
: Madame Bovary Roman
: Carl Hanser Verlag München
: 9783446240704
: 1
: CHF 13.40
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 752
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Gustave Flauberts hinreißendes Drama und seine Heldin sind zum Skandal und Mythos geworden: Emma Bovary lebt in der Provinz und träumt von großer Leidenschaft, großer Liebe und großem Leben. Gelangweilt von ihrer Ehe mit dem Landarzt Charles, sucht sie die ersehnten Erregungen bald im Ehebruch, doch sie scheitert an ihrem Verlangen und ihrer Umwelt. Als das Buch 1857 in Frankreich erschien, wurde Flaubert wegen 'Unmoral' der Prozess gemacht. Zugleich begann 'Madame Bovarys' Ruhm als der vollkommenste Roman der Geschichte und Gründungsroman der literarischen Moderne. Elisabeth Edl hat eine Neuübersetzung geschaffen, die zeigt, worin Flauberts unvergleichliche Modernität liegt.

Gustave Flaubert wurde am 12. Dezember 1821 in Rouen (Normandie) geboren und starb 1880 im Alter von 59 Jahren in Croisset. Schon seit seiner Jugend schrieb er Erzählungen und Romane. Aufgrund seiner hohen Ansprüche an sich selbst veröffentlichte er jedoch keines seiner Manuskripte. Sein erstes publiziertes Werk wurde der Roman Madame Bovary, der 1856 im Feuilleton der Revue de Paris erschien und der ihm einen Prozess wegen Verstoßes gegen die Sitten eintrug. Sein schönstes Buch ist für viele seiner Verehrer Drei Geschichten, zugleich sein letztes vollendetes Werk. Zunächst unverstanden, aber noch einflussreicher auf die Entwicklung der europäischen Literatur war der große Roman„L'Éducatio sentimentale. Histoire d'un jeune homme“ (1869), der als Lehrjahre der Männlichkeit (Geschichte einer Jugend. Roman, 2020) in der Neuübersetzung von Elisabeth Edl erschien. Gustave Flaubert ist einer der besten Stilisten der französischen Literatur und ein Klassiker des Romans; zusammen mit Stendhal und Balzac bildet er das Dreigestirn der großen Erzähler Frankreichs. Bei Hanser erschien zuletzt die Neuübersetzung Memoiren eines Irren (Roman, 2021).

I.


Wir saßen im Arbeitssaal, als der Direktor hereintrat, gefolgt von einemNeuen in bürgerlichem Aufzug und einem Schuldiener, der ein großes Pult schleppte. Wer geschlafen hatte, erwachte, und jeder sprang hoch, wie aufgeschreckt beim Lernen.

Der Direktor gab ein Zeichen, wir sollten uns wieder setzen; dann wandte er sich an den Hilfslehrer:

»Monsieur Roger«, sagte er halblaut, »ich lege Ihnen diesen Schüler ans Herz, er kommt in die Quinta. Sind Fleiß und Betragen lobenswert, bleibt erbei den Großen, wo er dem Alter nach hingehört.«

DerNeue, im Winkel hinter der Tür stehengeblieben, so dass man ihn kaum sah, war ein Bursche vom Land, etwa fünfzehn und größer als irgendeiner von uns. Seine Haare waren auf der Stirn gerade abgeschnitten, wie bei einem Dorfkantor, er wirkte brav und sehr verlegen. Obwohl er keine breiten Schultern hatte, schien die Joppe aus grünem Tuch und mit schwarzen Knöpfen unterm Arm zu spannen, und durch die Schlitze an den Aufschlägen sah man rote Handgelenke, die es gewohnt waren, nackt zu sein. Die blaubestrumpften Beine steckten in einer gelblichen, von Trägern stramm hinaufgezogenen Hose. Er trug grobe, schlecht gewichste Nagelschuhe.

Nun begann das Abfragen des Stoffs. Er lauschte mit gespitzten Ohren, aufmerksam wie bei der Predigt, wagte nicht einmal die Schenkel übereinanderzuschlagen oder den Ellbogen aufzustützen, und um zwei, als die Glocke läutete, musste der Hilfslehrer ihn ermahnen, damit er sich mit uns in Reih und Glied stellte.

Wir hatten die Gewohnheit, beim Betreten des Klassenzimmers unsere Mützen auf den Boden zu werfen, um die Hände frei zu haben; bereits auf der Türschwelle musste man sie so unter die Bank schleudern, dass sie gegen die Mauer knallten und viel Staub aufwirbelten; das warinMode.

Doch entweder war ihm der Trick nicht aufgefallen, oder er hatte sich nicht getraut mitzumachen, jedenfalls war das Gebet zu Ende und derNeue hielt seine Mütze noch immer auf dem Schoß. Es handelte sich um eine jener Kopfbedeckungen gemischter Natur, welche Elemente der Pelzkappe, der Tschapka, des runden Huts, der Otterfellkappe und der Zipfelmütze in sich vereinte, ja, um eines jener armseligen Dinger, deren stumme Hässlichkeit die gleiche ausdrucksvolle Tiefe besitzt wie das Gesicht eines Idioten. Eiförmig und durch Fischbeinstäbchen gewölbt, begann sie mit einem dreifachen Wurstring; dann kamen abwechselnd, durch ein rotes Band getrennt, Rauten aus Samt und Kaninchenfell; hierauf folgte eine Art Sack, der in einem pappverstärkten, mit kunstvoll gesticktem Litzenbesatz verzierten Vieleck endete, und daran baumelte, als Abschluss einer langen, allzu dünnen Kordel, ein kleines Goldfadenknäuel in Form einer Eichel. Die Mütze war neu; der Schirm glänzte.

»Stehen Sie auf«, sagte der Lehrer.

Er stand auf; seine Mütze fiel zu Boden. Die ganze Klasse lachte.

Er bückte sich, um sie aufzuheben. Ein Banknachbar stieß ihn mit dem Ellbogen, sie fiel ein zweites Mal, wieder las er sie auf.

»Legen Sie doch Ihren Helm ab«, sagte der Lehrer, denn er war ein geistreicher Mann.

Die Schüler brachen in schallendes Gelächter aus, was den armen Kerl so verwirrte, dass er nicht wusste, ob er seine Mütze in der Hand behalten sollte, auf dem Boden lassen oder aufsetzen. Er nahm wieder Platz und legte sie in den Schoß.

»Stehen Sie auf«, verlangte der Lehrer noch einmal, »und sagen Sie mir Ihren Namen.«

DerNeue nuschelte einen unverständlichen Namen.

»Noch einmal!«

Das gleiche Silbengenuschel war zu hören, übertönt vom Johlen der Klasse.

»Lauter!« schrie der Lehrer, »lauter!«

Da fasste sich derNeue ein Herz, riss den Mund sperrangelweit auf und brüllte, als riefe er jemanden, aus vollem Hals das Wort:Schahbovarie.

Sogleich erhob sich ein Heidenlärm, schwoll an imcrescendo, mit schrillen Tönen (man kreischte, jaulte, trampelte, wiederholte:Schahbovarie! Schahbovarie!), grollte in vereinzelten Noten weiter, legte sich nur mühsam und brauste in einer Bankreihe immer wieder plötzlich auf, wenn hier und dort, wie ein sc