: Julia Kröhn
: Die Alster-Schule - Jahre des Widerstands Roman
: Blanvalet
: 9783641263935
: Die Lehrerin von Hamburg
: 1
: CHF 11.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 416
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine dunkle Zeit, in der Widerstand die Menschen das Leben kostet. Eine engagierte Lehrerin, die für das Gute kämpft. Und zwei junge Studenten aus München, die neue Hoffnung machen ...
Hamburg im Zweiten Weltkrieg: Das Heulen der Sirenen liegt über der Stadt, Hamburger Juden werden scharenweise deportiert und Abiturienten möglichst schnell an die Front geschickt. Wo gerade noch anschaulicher, lebendiger Unterricht gehalten wurde, ist wieder Zucht und Ordnung eingekehrt. Die einstigen Bildungsideale scheinen verloren. Doch während sich Emil und Anneliese dem NS-Regime andienen, bleibt Felicitas ihren Werten unverrückbar verbunden. Als sie ehemaligen Schülern wiederbegegnet, aus denen mittlerweile Studenten geworden sind, kommt ihr ein Flugblatt aus München in die Hände, das neue Hoffnung macht. Und eine radikale Entscheidung verlangt ...

Die große Leidenschaft von Julia Kröhn ist nicht nur das Erzählen von Geschichten, sondern auch die Beschäftigung mit Geschichte: Die studierte Historikerin veröffentlichte - teils unter Pseudonym - bereits zahlreiche Romane, die sich weltweit über eine Million Mal verkauft haben. Ihr größter Erfolg hierzulande war »Das Modehaus«, ein Top-20-SPIEGEL-Bestseller; zuletzt widmete sich Julia Kröhn ihrem Herzensthema: den Büchern. In ihrer Dilogie »Die Buchhändlerinnen von Frankfurt« erzählt sie die Geschichte einer Verlagsbuchhandlung aus der Perspektive zweier Schwestern, von der Nachkriegszeit bis zur Studentenrevolte. In ihrem neuen Roman »Papierkinder« errichtet sie den historischen Kinderrechtlerinnen Emma Döltz, Clara Grunwald und Eglantyne Jebb ein fiktionales Denkmal in Form eines mitreißenden Romans.

November


Ich bin Deutschlehrer, ich habe kein Unrecht getan.«

Seit seiner Verhaftung hatte Levi diese Worte ständig wiederholt, immer war er auf taube Ohren gestoßen. Diesmal ignorierte ihn sein Gegenüber nicht, doch in dem Blick, der sich auf ihn richtete, stand Verachtung.

»Ein Deutschlehrer willst du sein? Ein Saujude, das bist du!« Levi wollte einwenden, dass das eine das andere nicht ausschloss, aber dazu kam er nicht. »Los!«, brüllte derSA-Mann ihn an, der Stahlhelm und Gewehr trug. »Du gibst alles ab, was du bei dir hast: Uhr, Geld, persönliche Gegenstände!«

»Ich habe keine Uhr … kein Geld … ich habe nur …«

Sein Buch! Er hatte doch ein Buch bei sich getragen, als er vor der wütendenSA-Truppe geflohen war, als man ihn schließlich gestellt und verhaftet hatte. Doch als er erklären wollte, dass er das unmöglich abgeben könne, prasselten Hiebe auf ihn ein.

Ein Schlag traf seine Nase, einer sein Kinn. Er rieb es benommen, während fremde Hände ihn betasteten, ihm nicht nur das Buch abnahmen, auch seinen Bleistift. Hilflos streckte er seine Hände danach aus, doch was derSA-Mann in diese drückte, war nicht sein Eigentum.

»Los, lies!« Er hielt einen Zettel. Schwarze Punkte tanzten darauf, die Punkte waren offenbar … Buchstaben. »Los, lies!«, brüllte der Mann wieder.

Levi konnte nicht lesen, obwohl man ihm die Brille gelassen hatte. Buchstabe fügte sich an Buchstabe. Aber es wurden keine Worte daraus, keine, die Sinn machten.

Schutzhaftbefehl.

Rassenschande.

Die Buchstaben wurden größer, das Gesicht in seinen Erinnerungen wurde größer. Er lächelte das Gesicht an. Das, was Felicitas und ich haben, ist doch keine Rassenschande. Was wir haben, ist etwas Besonderes … etwas Einzigartiges … etwas …

Jemand riss ihm den Schutzhaftbefehl aus der Hand und das Lächeln aus dem Gesicht.

Bis jetzt hatten ihn Faustschläge getroffen, doch dabei blieb es nicht. Levi hatte kaum hochgeblickt, als ein Schulterriemen, der Teil derSA-Uniform war, in sein Gesicht schnalzte. Er spürte, wie seine Unterlippe platzte, hatte auch das Gefühl, sein Auge würde platzen. Der dritte Schlag wurde ihm auf die Stirn versetzt, der vierte auf den Hinterkopf. Aus dem roten Bild wurde ein schwarzes. Nicht nur er versank in der Schwärze, auch Felicitas’ Gesicht.

Die Welt lag in Scherben, aber irgendwann konnte er Konturen sehen, von Bettgestellen, etwa einem Dutzend, von Garderobenhaken, Bänken, einer Toilette. Und da war ein Wasserhahn, aus dem es tropfte. Plitsch, platsch. Erst als er sich aufrichtete, bemerkte er, dass er auf einer stinkenden Matratze lag. Blut tropfte auch. Plitsch, platsch.

Wie von weither nahm er einen schrillen Ton wahr, dem endlosen Echo einer Trillerpfeife gleichend. Nach einer Weile wurden Stimmen daraus. Auch seine Stimme war zu hören.

»Deutschlehrer …«

Es blieb das einzige Wort, mehr brachten seine verkümmerten Gedanken nicht zustande. Ehe er ihm eine Bedeutung geben konnte, wurde es zerrissen – von Schmerzen, die von seinem Kopf in den ganzen Leib jagten, von Erinnerungsblitzen.

Die schreckliche Nacht vom 9. auf den 10. November, als das jüdische Hamburg in Scherben zerfallen war … die Tage danach, als er auf der Flucht gewesen war … der Moment, als man ihn verhaftet hatte …

Auf dem Polizeiwachtlokal in der Humboldtstraße hatte er zum ersten Mal beteuert, dass er nichts Unrechtes getan hatte. Im