: Sarah Lindberg
: Die Fabrikantinnen - Schwesternbande Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841229335
: Die Fabrikantinnen-Saga
: 2
: CHF 12.20
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Von Liebe und Leid - die Geschichte zweier sehr verschiedener Schwestern.

No ddeutschland, Anfang der dreißiger Jahre. Die Schwestern Emmi und Anni könnten nicht unterschiedlicher sein - zurückhaltend und strebsam die Ältere; lebensfroh und übermütig die Jüngere. Bei einem Fest lernen sie den Fabrikantensohn Emil kennen. Für die ruhige Emmi ist es Liebe auf den ersten Blick, aber der junge Mann hat nur Augen für ihre Schwester Anni. Die beiden heiraten, und auf einmal ist Anni die wohlhabende Gattin eines reichen Zuckerfabrikanten. Doch die Geschäfte könnten besser laufen, so dass Emil kaum Zeit für sie hat. Schonungslos ist Anni den Gehässigkeiten ihrer Schwiegermutter ausgesetzt. Als Anni dann ein Kind erwartet, scheint alles gut zu werden - bis ein Unglück über die Fabrikantenfamilie hereinbricht. Emmi ahnt, nun muss sie alles tun, um ihrer Schwester beizustehen und ihre kleine Nichte zu retten ... 

Eine mitreißende Familien-Saga über die Frauen einer Zuckerfabrik, die sich in schweren Zeiten behaupten müssen.



Sarah Lindberg ist das Pseudonym der Bestseller-Autorin Antje Szillat, aus deren Feder zahlreiche Kinder- und Jugendromane sowie Erwachsenenbücher stammen. Die Gesamtauflage der Autorin liegt bei 1.5 Millionen Exemplaren. Ihre Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. In 'Die Fabrikantinnen' erzählt sie die Geschichte ihrer 'beider' Großmütter nach, die in der Nähe von Hannover aufgewachsen sind und sich aus kleinen Verhältnissen emporgearbeitet haben. Als Aufbau Taschenbuch sind von Antje Szillat bereits die Romane 'Nimm das Glück in beide Hände' und 'Ab heute seh ich bunt' erschienen.

Eins


Wo lebt sich’s besser als im Schoße der Familie?

Jean-François Marmontel, französischer Schriftsteller (1723–1799)

Juni 1927


Emmi lag schon eine geraume Weile lang wach in ihrem schmalen Bett, hatte den Kopf aus dem Kissen gehoben und lauschte auf die Geräusche im Haus, die zu ihr herauf auf den Dachboden drangen.

Jetzt fiel eine Etage unter ihr mit einem leisen, metallischen Klacken eine Tür ins Schloss, die Tür zwischen dem Schlafgemach der Eltern und der kleinen Kammer des Vaters, in der sich sein Schreibtisch aus schwarzer Eiche befand und der schmale, hohe Schrank aus dem gleichen Holz, worin er seine Jagdgewehre aufbewahrte. Emmi erkannte das am leichten Schrappen des Türblattes über den Dielenboden. In einem alten Haus wie diesem hatte eine jede Tür ihr ureigenes und unverwechselbares Geräusch, wenn man wie Emmi genau hinhorchte. Ein helles Klirren folgte, ganz so, als hätte der Vater eines seiner Gewehre aus dem Schrank genommen und dabei der Kolben gegen das Metall der Halterung geschlagen.

Verwundert lauschend richtete Emmi sich noch etwas mehr in ihrem Bett auf.

Heute war Sonntag. Nicht irgendein Sonntag, sondern der Sonntag, dem die Familie des Schuhmachermeisters Gustav Engel und seiner Ehefrau Dorothea, von allen stets Thea genannt, schon seit Wochen mit gespannter Freude entgegenblickte. Gestern Abend, als die Zeit gekommen war, sich schlafen zu legen, hatte ihre um zwei Jahre jüngere Schwester Anni ihr noch vorhergesagt, dass sie vor lauter Aufregung bestimmt kein Auge zubekommen würde und sie deshalb die ganze Nacht mit ihr über das bevorstehende Ereignis am nächsten Tag plaudern müsste. Doch kurz nachdem Annis Blondschopf das Kissen berührt hatte, vernahm Emmi das gleichmäßige tiefe Atmen ihrer Schwester, die allen Ankündigungen zum Trotz sofort eingeschlafen war.

Emmi hingegen hatte eine Ewigkeit nicht in den Schlaf gefunden und dann so wirr geträumt, dass sie weit vorm Morgengrauen mit Schweißperlen auf der Stirn und dröhnendem Herzen erwacht war. Seitdem lag sie da und lauschte auf die frühmorgendlichen Geräusche im Haus. Dass ihr ihr feines Gehör jedoch verraten würde, dass der Vater an diesem ganz besonderen Tag noch frühmorgens zur Jagd ginge, damit hatte sie wahrlich nicht gerechnet und war nun dementsprechend verwundert.

Ob Mutter das wohl recht war? Sie konnte es sich nur schwerlich vorstellen, dass Thea Engel die Jagdpläne ihres Gatten gutheißen würde. Seit Tagen machte sie sich mit den Vorbereitungen für das Fest verrückt. Dabei war ihre größte Sorge, dass sie etwas vergessen haben könnte oder schlichtweg nicht beachtet hatte. Alles sollte perfekt sein, eine rundum gelungene Feier anlässlich des vierzigsten Geburtstags des Schuhmachers Gustav Engel.

Nahezu das ganze Dorf war dazu von ihr eingeladen worden. Lediglich die Gieseckes hatten bisher vergeblich auf eine der schlichten, aber dennoch edlen Karten gehofft, die sie dazu berechtigte, an dem Fest des Jahres, wie man das Ereignis bereits überall im Dorf nannte, teilnehmen zu dürfen. Ein Streit zwischen dem Jubilar Gustav Engel und seinem ehemaligen besten Freund Ernst Giesecke, der bereits einige Jahre zurücklag, hieß es, sei der Grund dafür, dass das Ehepaar Giesecke im Hause Engel nicht erwünscht war. Etwas Unüberwindbares, das zwischen den beiden jungen Familienvätern vorgefallen war, die sich im Ersten Weltkrieg Seite an Seite freiwillig gemeldet hatten, um es den Feinden Deutschlands zu zeigen.

Gustav hatte nur wenig von der Zeit damals erzählt, nur so viel, dass an der Front sehr schnell die Ernüchterung bei ihnen und all den anderen euphorisch in den Krieg ziehenden Männern eingetreten war, als ihnen bewusst wurde, dass sie nichts als Kanonenfutter waren. Beide Männer hatten den Krieg überlebt, beide mit schweren Verletzungen an Leib und Seele. Die körperlichen Wunden waren inzwischen bei den ehemals besten Freunden verheilt, doch das große Seelenleid trug besonders Gustav noch so offensichtlich in sich, dass es manchmal sehr schwer für seine Frau und seine beiden Töchter war, zu ihm durchzudringen. Zu verstehen, warum er in bestimmten Momenten so grob, abweisend und kalt ihnen gegenüber auftrat, wo er doch eigentlich ein liebevoller und warmherziger Ehemann und Vater war und sich so auch benehmen wollte.

Nein, das Leben mit Gustav Engel war nicht immer ganz einfach für seine Familie, aber wohl am schwersten für den Schuhmacher selbst.

Vielleicht ging es ihm heute Morgen wieder einmal nicht so gut, überlegte Emmi. Womöglich hatte er wie sie in der Nacht schlecht geträumt und dann weit vorm Morgengrauen wach in seiner Hälfte des Ehebettes dagelegen. Emmi malte sich weiter aus, dass er schließlich beschlossen hatte, ein bisschen in die Natur zu gehen, auf die Jagd, die er über alles liebte. Dabei ging es dem Schuhmacher nicht in erster Linie um das Erlegen des Wildes, vielmehr genoss er die Ruhe und, so grotesk, wie es sich auch anhören mochte, den Frieden, wenn er auf dem Hochsitz saß, das Gewehr schussbereit, und darauf wartete, dass ein Reh oder vielleicht sogar ein Hirsch aus dem Dickicht des Waldes hinaus auf die Wiesen und Felder trat.

Emmi konnte es sich nur als ein plötzlich gefasster Entschluss des Vaters erklären, denn dass sein frühmorgendlicher Ausgang mit der Mutter abgesprochen war, erschien ihr schier unmöglich, so wie Dorothea Engel immer wieder betont hatte, dass sie für den heutigen Festtag Unterstützung und Mithilfe von ihrem Ehemann und den Töchtern erwartete.

Im nächsten Moment bestätigte sich Emmis Verdacht, dass der Vater kurzweg beschlossen hatte, sich noch vorm Morgengrauen aus dem Haus zu schleichen. Die überraschte Stimme der Mutter erklang. »Gustav? Du hast mir doch versprochen, dass du mir …«

Weiter kam sie nicht. Gustav Engel schnitt ihr das Wort ab. »Thea, bitte leg dich wieder schlafen. Es ist noch nicht einmal fünf Uhr durch. Vorm Frühstück bin ich wieder zurück.«

Emmi hatte sich inzwischen auf leisen Sohlen aus der kleinen Kammer geschlichen, die sie sich nicht ganz freiwillig mit ihrer Schwester Anni teilte. Eigentlich hatte der Vater die Bodenkammer nur für sie hergerichtet, damit sie in Ruhe lernen und in ihren geliebten Büchern lesen konnte, ohne dabei von Anni, dem stets fröhlichen Wirbelwind der Familie, immer wieder gestört zu werden.

Gustav Engel war sehr stolz auf seine kluge Tochter Emmi. Sie hatte die Aufnahmeprüfung der höheren TöchterschuleMarienlyzeum ohne Probleme geschafft und war so blitzgescheit und fleißig, dass sie den schulischen Anforderungen mit Leichtigkeit entsprach und er sich sicher war, dass ihr beizeiten das Abitur mit Bravour gelingen würde. Anschließend sollte sie studieren, o ja, das wünschte er sich für seine Älteste von Herzen und brachte deshalb nicht nur Monat für Monat das Schulgeld für die höhere Töchterschule auf, sondern legte jede Reichsmark, die die Familie irgendwie entbehren konnte, dafür zur Seite.

Die lebhafte Anni hingegen war nicht so ehrgeizig. Das Lernen war ihr ein Gräuel, und für die Bücher, die ihrer älteren Schwester Emmi so wichtig waren, hatte sie nichts übrig. Den Anforderungen der Mittelschule war sie nur schwerlich gewachsen und wäre sicherlich auf der Volksschule besser aufgehoben gewesen. Doch Gustav Engel wollte für seine Töchter nur das Beste, und das war seiner Meinung nach eine möglichst gute Schulbildung.

Ansonsten war es für den Schuhmacher wahrlich kein Leichtes, dem Sonnenschein Anni etwas gegen ihren Willen aufzuerlegen oder ihr gar zu verbieten. Anni klimperte mit den langen Wimpern ihrer himmelblauen Augen, zog einen Schmollmund, und schon hatte sie ihren Vatilein um den Finger gewickelt.

So war es auch mit der Dachkammer gewesen, die er ursprünglich nur für Emmi eingerichtet hatte. Doch das hatte Anni nicht gepasst, weil sie nicht allein in der...