: Kjell Eriksson
: Die Nacht des Feuers Ein Fall für Ann Lindell
: Aufbau Verlag
: 9783841227577
: Ein Fall für Ann Lindell
: 1
: CHF 8.70
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

strong>Brandherd Schweden.  

Eigentlich hat Ann Lindell ihren Job bei der Polizei an den Nagel gehängt, doch als in ihrem vermeintlich beschaulichen neuen Zuhause in Uppland das alte Schulhaus brennt und drei Asyl suchende Menschen sterben, nimmt sie auf eigene Faust die ins Stocken geratenen Ermittlungen auf und versorgt ihren Ex-Kollegen Sammy mit Informationen aus dem Dorf. Denn auch wenn keiner der Nachbarn etwas gesehen haben will, hegt Ann wenig Zweifel, dass eine rechtsextreme Gruppe hinter dem Brandanschlag steckt. Dann brennt es erneut - doch diesmal ist das Opfer eine junge Schwedin ...  

'Ein brillantes Comeback und ein hochaktueller und spannender schwedischer Kriminalroman. Absolute Spitzenklasse.' BTJ.



Kjell Eriksson, geboren 1953, hat Erfahrungen in mehreren Berufen gesammelt. Er lebt in der Nähe von Uppsala. Für seinen ersten Kriminalroman um die Ermittlerin Ann Lindell erhielt er 1999 den schwedischen 'Krimipreis für Debütanten'. Sein Roman 'Der Tote im Schnee' wurde zum 'Kriminalroman des Jahres 2002' gekürt, eine Ehrung, die bereits Autoren wie Liza Marklund, Henning Mankell und Håkan Nesser bekommen hatten. 

4


Seit dem Brand waren inzwischen fast fünf Monate vergangen. Die polizeilichen Ermittlungen liefen natürlich noch, waren im Grunde jedoch zum Stillstand gekommen. Die Reste der alten Dorfschule waren abgetragen worden. Übrig waren nur noch ein Anbau, in dem früher einmal Klos und Abstellräume gewesen waren, und dann die schwarze Stelle auf dem Boden, ein dreiundzwanzig Meter langes und acht Meter breites Rechteck, mit einem verrußten Mauersockel, der aufragte wie ein makabres Denkmal für eine Brandstiftung, die drei Leben gekostet hatte, vielleicht vier. Die Mauerreste aus grob behauenem Granit waren von Mattssons Söhnen abtransportiert worden.

Nicht zuletzt für die, die früher auf diese Schule gegangen waren, war das ein bedrückender Anblick. Generationen von Dorfbewohnern hatten in der hundert Jahre alten Schule die Schulbank gedrückt. Wenn sie vorübergingen, erinnerten sie sich an Episoden aus einer anderen Zeit, an scheußliche und an lustige. Sie dachten an ihre eigene Kindheit, erinnerten sich an die beiden Lehrkräfte, Edlund und Gauffin. Der eine grob, die andere verständnisvoll, aber beide respektiert, von den meisten jedenfalls, jetzt, im Nachhinein. Åke Edlund war schon lange tot, das war bekannt, aber wo Alexandra Gauffin anzutreffen wäre, falls sie überhaupt noch lebte, wusste niemand, und deshalb war das Staunen groß, als sie eines Tages auftauchte.

Sie klopfte bei Gösta Friberg an die Tür und stellte sich vor, was absolut nicht nötig gewesen wäre. Gösta konnte die Tränen nur mit Mühe zurückhalten, als er seine alte Lehrerin musterte, die mit ihrem unnachahmlichen Lächeln und ihrem immer milden Blick so unerwartet auf seiner Türschwelle stand. Er rechnete rasch aus, dass sie über neunzig sein musste.

»Die Schule hat gebrannt«, war alles, was er herausbrachte.

»Das habe ich inzwischen auch gehört«, sagte die Lehrerin mit einer Stimme, die ihren Klang bewahrt hatte. »Ich war über Weihnachten und Neujahr bei meiner Schwester in Odense und habe nicht richtig mitverfolgt, was in Schweden passiert.«

Es ist seltsam, dachte Gösta, wie manche Menschen ungebrochen durch das Leben gehen.

»Sie sehen so gut aus, Frau Gauffin … wie früher«, sagte er und war sofort verlegen angesichts seiner Worte, die vielleicht als aufdringlich betrachtet werden könnten, sie war ja schließlich noch immer seine Lehrerin.

»Du auch, Gösta. Dieselben feinen Wangen und derselbe funkelnde Blick.«

Nun schluchzte Gösta auf. Seit dem Tod seiner Frau hatte niemand mehr etwas so Schönes zu ihm gesagt.

Sie tranken Kaffee vor der sonnigen Südwand, behielten dabei aber ihre Mäntel an. Es war Frühling. Die Traubenkirsche stand kurz vor der Blüte, und beim Flieder barsten die Knospen fast vor Sehnsucht, dabei hatte es noch vor kurzer Zeit geschneit. Die Frühlingsblumen wirkten deshalb etwas gestresst, sie wollten sich nicht vom Sommerflor ausstechen lassen.

»Du wohnst jetzt allein?«

»Ja, Irma ist vor einem Jahr und drei Monaten von mir gegangen. Es ist immer noch ein seltsames Gefühl.«

Es verging kein Tag, ohne dass er an sie dachte.

»Hatte sie Krebs?«

Gösta nickte. »Sie hat lange gekämpft, und wir haben alles versucht. Wir waren sogar in einer Spezialklinik in Florida, haben dort fast zwei Monate verbracht, aber nichts hat geholfen. Sie ist im Spätwinter gestorben.«

»Das muss ja eine Menge gekostet haben.«

»Ja, es war entsetzlich teuer, über neunzigtausend Dollar. Und als Schreiner hat man ja nicht gerade viel auf der hohen Kante liegen. Ich musste mir das meiste leihen.«

»Gut, dass die Bank in solchen Situationen zur Stelle ist, aber die nehmen sicher reichlich an Zinsen.«

Gösta lief leuchtend rot an. Frau Gauffin musterte ihn für einen Moment, dann wechselte sie das Thema.

»Und die Polizei weiß nichts?«

»Nein, die haben nichts herausgefunden. Sie wissen ja sicher, wie das ist.«

»Und was wird so geredet? Im Dorf, meine ich?«

»Die Leute wollen nicht darüber sprechen.«

Sollte er erzählen, was er wusste? Diese Frage hatte er sich schon hundertmal gestellt, schon von dem Tag an, als es in den letzten Überresten der Schule noch schwelte und die Polizei bei ihm angeklopft hatte.

»Es wird so viel geredet«, sagte er endlich und bestritt damit das, was er eine halbe Minute zuvor behauptet hatte.

»Ich dachte, ich bleibe eine Weile hier in der Gegend«, meinte Frau Gauffin. »Dann werden wir noch häufiger Gelegenheit haben, darüber zu sprechen.«

»Sie wollen eine Weile bleiben?«

»Ja, ich schreibe ein bisschen. Meine Erinnerungen, könnte man sagen, und da wäre es doch nett, einige von meinen ehemaligen Schülern zu treffen, und auch nützlich, weil das meine Erinnerungen bereichern würde. Die sind ja so unterschiedlich.«

»Sie wollen also die Leute hier interviewen?«

»Das ist wohl ein bisschen übertrieben ausgedrückt«, sagte Frau Gauffin.

»Wie werden Sie herumkommen?«

»Mein Urgroßneffe wird mich chauffieren. Er ist arbeitslos und ich bezahle ihn dafür. Er hatte seinen Lutschtabak vergessen und musste noch mal zurückfahren. Das dauert sicher eine Weile, ich habe gesehen, dass der Laden hier nicht mehr existiert.«

Die beiden, Lehrerin und Schüler, sprachen eine ganze Weile miteinander, bis ihnen die Füße kalt wurden. Sie zählten auf, wer noch in der Gegend wohnte, wer verstorben war und was ansonsten von Interesse sein könnte.

»Ein Junge wird vermisst, oder wie ist das?«, unterbrach Frau Gauffin plötzlich die Aufzählung der ehemaligen Schüler und brachte ihn zurück zu jenen entsetzlichen Tagen im Januar. Er nickte.

»Und es ist nichts Neues herausgekommen?«

»Nein, nichts Neues.«

Er fragte sich, wie viel sie wohl wusste. Zwei Vettern waren verschwunden. Der eine war wieder aufgetaucht. Gösta hatte ihn gefunden. Frau Gauffin schien über die Einzelheiten nicht informiert zu sein, obwohl darüber geschrieben worden war, und Gösta sah keinen Grund, es ihr zu erzählen. Er wollte es nicht erzählen. Er wollte nicht einmal daran denken, an den entsetzlichen Anblick, der sich ihm am frühen Morgen des 3. Januar geboten hatte. Er kam sich wie mitschuldig am Tod des Jungen vor. Und es gab Leute im Dorf, die genau das andeuteten.

Der Urgroßneffe der Lehrerin tauchte schließlich auf und fuhr lässig die Auffahrt hoch, nickte Gösta zu, machte aber keine Anstalten, den Wagen zu verlassen.

»Das ist ein solides Auto«, sagte Frau Gauffin und es klang, als ob sie den Chauffeur in dieses Urteil einbezog. Sie legte die Hand gleichsam tröstend auf Göstas Knie, ehe sie sich erhob.

Lange nachdem das Auto hinter Efraimssons Werkstatt verschwunden war, stand Gösta noch immer unter dem mächtigen Ahornbaum, den sein Großvater hundert Jahre zuvor gepflanzt hatte. Der Besuch hatte zweierlei Auswirkungen auf ihn gehabt, er fühlte sich belebt, aber auch wehmütig und ängstlich. Unbewusst streckte er eine Hand aus und streichelte den glatten Stamm, als wäre es die Haut einer Frau. Er müsste zurück ins Haus gehen, aber er wusste, dass im Freien alles leichter wurde, als ob die Angst ausgelüftet werden könnte.

»Geh zu Bertil«, sagte er laut und auffordernd und machte sich gehorsam auf den Weg. Es war ein Spaziergang, den er Tausende von Malen zurückgelegt hatte. Bertil Efraimsson war ein frommer Mann, Gösta dagegen ein verbissener Gottesleugner, aber sie waren trotzdem gute Freunde und waren es schon als Kinder gewesen. Sie waren bis auf eine Woche gleich alt, wurden im Juli sechsundsechzig, und waren Spiel- und Klassenkameraden gewesen, und außerdem Nachbarn. Bertil hatte nach seinem Vater und seinem Onkel die Werkstatt übernommen und weiterhin alles repariert, von Uhren bis zu Mähdreschern, aber als Mechanik immer mehr durch Elektrotechnik ersetzt wurde, hatte er seine Tätigkeit eingestellt. Diese Entscheidung hatte er an einem Freitag getroffen. Er hatte die wenigen Aufträge ausgeführt, die er noch hatte, am Dienstag ein Schild mit der Aufschrift »GESCHLOSSEN« angenagelt und war danach zum Alkoholgeschäft in Öregrund gefahren, wo er glaubte, nicht erkannt zu werden. Dort kaufte er eine Flasche Cognac von der...