Prolog
Er nannte sich Dave.
Es war nicht sein richtiger Name, aber er wollte so angesprochen werden. Dave hing gelegentlich bei denDJs rum, einen Guaranadrink in der Hand, doch meistens saß er einfach nur da und wippte mit dem Kopf zu den Beats. So wie es in dem Technokeller üblich war. Hier legte niemand Kommerz auf, hierher kam man nicht zum Herumhüpfen. Hier landete man zu später Nachtstunde, wenn der neue Tag schon an der Tür kratzte, und ließ sich außerhalb von Raum und Zeit tragen.
Dave war ein Durchschnittstyp, vielleicht machte ihn genau das interessant. Kein Poser, kein Macho, aber auch kein sich anbiedernder Softie. Mehr so der Unnahbare, der zwar am weiblichen Geschlecht interessiert war, um dessen Aufmerksamkeit man sich aber bemühen musste. Sexy Schlaghosen mit tief sitzendem Bund und bauchfreie Tops, die nur wenig verbargen, genügten da nicht.
Ein Kleidungsstil, mit dem sie sich ohnehin schwertat, was nicht zuletzt daran lag, dass sie das, was ihr an Busen fehlte, entlang der Hüfte trug. Jedenfalls war das ihre Sicht der Dinge. Es gab so viele Tussis, die besser aussahen. Die sich einfach neben Dave pflanzten und ihre Reize feilboten. Sie fand das abstoßend. Aber gleichzeitig ließirgendetwas an ihm sie nicht los.
Zwei Wochen später war es dann so weit. Eine Party auf der Jagdhütte irgendeines Typen, der vor zwei Jahren Abi gemacht hatte. Sein Bruder verteilte Flyer. Farbdrucke, die professionell wirkten und einem das Gefühl gaben, eine exklusive Einladung in Händen zu halten. Sie wusste noch nicht, wie sie dorthin gelangen sollte, denn die Hütte lag zwischen zwei abgelegenen Käffern im Taunus. Andererseits war sie auch schon insFUN nach Usingen gelangt und wieder zurückgekommen. Der Rückweg war ja meist noch viel komplizierter, vor allem, wenn der Fahrer sich dann doch entschied, zu trinken oder etwas einzuwerfen.
Aber sie wusste genau, dass sie sich diese Party nicht entgehen lassen durfte. Ihre Eltern waren auf Reisen. Sie hatte sturmfrei. Sie hatte ihnen Stein und Bein geschworen, keinen Unfug zu machen und sich auf die bevorstehenden Klausuren zu konzentrieren. Ein gutes Abi, bla, bla …
Auf der Party waren sicher viele Ältere aus dem Jahrgang des Hüttenbesitzers. Zügellose Typen aus reichem Elternhaus. Doch die gab es auch in ihrer Klasse. Die meisten würden an diesem Abend dort feiern.
Vor allem aber Dave.
*
Der Subaru Allrad holperte über den Waldweg. Ein häufig frequentierter Weg. Mehrere Wanderrouten nahmen hier ihren Anfang oder ihr Ende, dazu kamen Mountainbiker und regelmäßig auch Reiter. Hochsitze gab es hier kaum, und wenn, dann standen sie ein gutes Stück abseits. Zu dieser Stunde war hier niemand zu erwarten. Nieselwetter und eine mondlose Nacht. Keiner würde ihn sehen, keiner würde ihn stören.
Und falls doch?
Das Ziel näherte sich, und er unterbrach seinen Gedanken. Erinnerungen strömten auf ihn ein. Wie oft schon war er hier draußen gewesen? In besseren, nein, anderen Zeiten. Waren sie wirklich besser gewesen? Darüber wollte er nicht nachdenken. Zum Trinken, zum Knutschen, was man als Heranwachsender eben so trieb, wenn man die Entfernung bis in den alten Steinbruch überwunden hatte. Zu Fuß, per Fahrrad, später auch mit dem Motorroller. Wie oft hatte es Ärger mit dem alten Förster gegeben! Er hatte sie regelmäßig verscheucht, und sie waren mit derselben Beharrlichkeit wiedergekommen. Bis zum Ende der Schulzeit. Danach waren die Lebenswege in unterschiedliche Richtungen verlaufen, wie das eben so war. Doch ausgerechnet heute endete der Kreislauf des Lebens genau hier.
Der Motor erstarb. Es knisterte. Er schaltete die Innenbeleuchtung aus, bevor er am Hebel des Türöffners zog. Er rutschte ab, griff ein zweites Mal zu. Wischte sich den Schweiß von den Händen; er war nervös. Sein Herz klopfte. Wieder tauchte ein Bild in seinem Kopf auf. Der alte Eugen. So war der Name des Försters gewesen. Mit seinem schlammgesprenkelten Land Cruiser, der nach alter Hundedecke roch. Und nach Apfelwein. Was, wenn er plötzlich vor ihm stünde?
Nein!
Gab es den Alten überhaupt noch? War da nicht …
Er zwang sich zur Konzentration und stieg aus. Die Kühle der Nacht half ihm dabei. Einatmen, ausatmen. Orientieren. Er kannte das Areal wie seine Westentasche, das half ihm in der milchigen Schwärze, die ihn umgab. Er konnte die Wasseroberfläche erst erkennen, als sie wenige Schritte vor ihm lag.
Es war noch gar nicht so lange her, da hatte man hie