InhaltsverzeichnisDer zweite Tag
Der fabelhafte Grolleau Gris war zum bestimmenden Thema des gestrigen Tages geworden. Eines rundherum glückseligen Tages, mit sehr frühem Aperitif und einem Abendessen, das bis tief in die Nacht ging. Zwischen der Degustation am Vormittag und dem Aperitif hatte es ein ausgedehntes Mittagessen auf der Terrasse gegeben, abermals begleitet von dem famosen Wein, er war äußerst verträglich. Nach dem Mittagessen hatten sie im verwunschenen Garten in der Sonne gelegen, die den Regen mit aller Kraft vertrieben hatte. Für gewöhnlich scheute Dupin Müßiggang, er war physisch und psychisch gar nicht dazu in der Lage.
»Das ist also der Trick«, hatte Claire angemerkt, »darauf hätte ich schon bei unseren Ferien an der Rosa Granitküste kommen sollen: eine konstante leichte Alkoholisierung bei sommerlichen Temperaturen …«
Eigentlich hatten sie nach dem ausgedehnten Mittagessen vorgehabt, ein Stück an der Küste entlangzuspazieren. Wozu es dann natürlich nicht gekommen war. Immerhin war es ihnen vor dem Aperitif gelungen, eine Runde um das weitflächige Anwesen zu drehen. Eine durch und durch friedliche, in sich geschlossene Welt: sanfte Senken, dunkelgrüne Teiche, ein Bach, kleine Wälder, wilde Wiesen. Zudem gab es Gemüse- und Kräutergärten und natürlich den Weinberg. Und viele Tiere. Pferde, Schafe, Hasen, Meerschweinchen, Schweine, Truthähne, Hühner, Frösche, Gänse, Enten. Dupins Lieblinge aber waren ganz ohne Zweifel die beiden Esel, Tristan und Isolde. Von dem Grünspecht hatte er Claire vorsichtshalber noch nichts erzählt, er würde sich heute erneut bei Riwal melden. Vielleicht wäre das Problem dann schon erledigt. Riwal war durchaus in der Lage, Wunder zu vollbringen.
Heute, es war elf Uhr, saßen Claire und Dupin im romantisch-verwilderten Garten vor dem hübschen alten Haupthaus derFontaine, in dessen Parterre das Restaurant und eine kleine Hofboutique lagen. Das Hotel, das erst vorletztes Jahr gebaut worden war, befand sich hinter dem Haupthaus. Zuvor hatte es nur ein paar wenige Gästezimmer gegeben.
Von überall blickte man aufs Meer, bis hin zur Île de Noirmoutier, die ungefähr zwanzig Kilometer entfernt lag. Sie war lang und flach und streckte sich weit in den Atlantik. Die Küste zwischen ihr und Pornic bildete eine gewaltige Bucht. Die Baie de Bourgneuf.
Claire und Dupin hatten einen Tisch inmitten der wilden Kräuterwelt als ihren Frühstücksplatz auserkoren, ein halbes Dutzend gab es davon. Dupin hatte noch nie so verrückt wuchernde Kräuterbüsche gesehen, durchsetzt von Blumen in allen Farben. Die dunkelgrünen Stühle waren überaus bequem, sicher auch, weil die Sitzflächen aus luftigem Geflecht bestanden. Verwitterte hohe Steinmauern schützten den weitläufigen Garten, durch ein offen stehendes schmiedeeisernes Tor fiel der Blick direkt auf den Weinberg, er lud zum Flanieren ein, so konnte man unmittelbar bestaunen, was man später trinken würde.
»Was meinst du – vielleicht machen wir heute den roten Abouriou zum Thema des Tages?«
Claire lächelte Dupin an.
»Unbedingt.«
Es stand zwar keine Verkostung auf dem Programm, aber das hinderte sie ja nicht daran, genau