: Hermann Warth
: Lebensrad und Windpferd Wege in Nepal
: Unionsverlag
: 9783293308831
: 1
: CHF 17.70
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 418
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zwölf Jahre in Nepal - für Hermann Warth eine Schlüsselerfahrung in seinem Leben. Als Landesbeauftragter des Deutschen Entwicklungsdienstes und als Gutachter für verschiedene Organisationen lernte er das Land in den 1970er- und 1980er-Jahren kennen. Mehr als 14000 Kilometer ist er auf Nepals unzähligen Pfaden durch die wilde Natur gewandert. In diesem Band erinnert er sich an Erkundungen und Bergexpeditionen, an flüchtige Begegnungen und Weggefährten, die seinen Blick auf die Welt verändert haben.

Hermann Warth, geboren 1940 in Berlin, war als Landesbeauftragter des Deutschen Entwicklungsdienstes in den 1970er- und 1980er-Jahren insgesamt zwölf Jahre in Nepal tätig. In dieser Zeit lernte er sowohl die Menschen als auch die Natur des Landes lieben und kehrt als Tourist immer wieder dorthin zurück. Er lebt in Landsberg am Lech.

Ngawang Tenzing unterwegs


1974, 1975, 1978, 1983

»… bis wir gelernt haben, Leben und Tod mit jenem Mut zu begegnen, der einzig aus dem Mitgefühl für alle lebenden und leidenden Wesen und der tiefen Einsicht in die wahre Natur aller Erscheinungsformen entspringen kann.«

Lama Anagarika Govinda, Der Weg der weissen Wolken

Nur ein einziges Mal hatte ich bei Ngawang Tenzing eine menschliche Schwäche erlebt. Mit ihm, Norbu Sherpa und Thimphu Sherpa wanderten meine Frau und ich im Herbst 1975 durch das Khumbu-Gebiet zu Füßen des Everest. Unser erster Urlaub in Nepal. Wir hatten die größeren Sherpa-Orte besucht und zwei Fünftausender und zwei Sechstausender bestiegen. Ein wenig beherrschten wir schon das Nepali, aber die Unterhaltung unserer Begleiter fand in der Sprache der Sherpa statt. So erfuhren wir erst später, als Ngawang sich unter Tränen bei uns entschuldigte, was der Grund für seinen Wutausbruch war. Die drei hatten sich offensichtlich lange Zeit geneckt, bis aus Spiel Ernst wurde. Der kleine Ngawang riss plötzlich faustgroße Steine aus der Mauer, die einen Kartoffelacker umgab, und warf sie Norbu und Timphu hinterher. Er schimpfte lauthals und sie rannten davon, die Köpfe hinter Rucksack und Ausrüstungskorb eingezogen, hoffend, dass sie nicht getroffen würden. Ngawang traf niemanden. Doch er war außer sich und konnte sich nur durch die Entschuldigung und sein Weinen wieder beruhigen. – Einige Jahre später erlebte ich, diesmal am Everest selbst, wieder einen in Tränen aufgelösten Ngawang. Doch sie flossen aus anderem Grund. Es waren Tränen der Trauer und totalen Erschöpfung …

Der Tibeter Ngawang Tenzing war von der »anderen Seite des Everest« über den eisbedeckten Nangpa Pass als Flüchtling nach Nepal gekommen und hatte sich in Namche Bazar niedergelassen. Er war beliebt bei den Sherpa wegen seiner Tüchtigkeit und seines Humors. Und er konnte mit Yaks, diesen schönen, nützlichen aber nie ganz ungefährlichen Tieren (s. Kap »Dolpo – Vom ‚Yakland’ nach Dagarjun«), umgehen wie kaum jemand sonst im Khumbu-Gebiet. Aber er war eben kein Sherpa. Auch anderswo dauert es seine Zeit bis Flüchtlinge ganz von der Gemeinschaft akzeptiert werden, oftmals besonders lange, wenn sie sehr tüchtig und erfolgreich sind. Vielleicht hatte der Streit mit Norbu und Timphu darin seine Ursache. Ngawangs Problem war, dass er nicht auffallen wollte, aber eben wegen seiner Tüchtigkeit doch auffiel. Und so wollte er 1974 mit Kurt Diemberger und mir nicht zum Gipfel des Shartse steigen, sondern in einem Hochlage