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Nach einem mörderischen Arbeitstag beruhigte nichts die strapazierten Nerven der in Manhattans Lower West Side arbeitenden Angestellten besser als die Happy Hour in der angesagten KneipeOn the Rocks. Bei Drinks zum halben Preis und Reisbällchen mit Käse lästerten sie über ihre Vorgesetzten oder fingen Flirts mit den Kolleginnen oder Kollegen an.
Auch hohe Tiere tauchten dort auf, um in der Nähe ihrer Arbeitsplätze schnell noch etwas zu trinken, ehe es zurück in schicke, in den Vororten New Yorks gelegene Häuser ging.
Zwischen halb fünf und sechs drängten sich kleine Angestellte, deren Vorgesetzte, Sekretärinnen und Assistenten an den niedrigen und hohen Tischen und der lang gezogenen Bar. Manche dieser Leute stürzten sich kopfüber in das Treiben, andere wurden wie Überlebende nach einem Schiffsunglück hereingespült, und wieder andere wollten einfach die Erinnerung an ihren Arbeitstag in Alkohol ertränken, nachdem sie sich einen kleinen Flecken Kneipe mühselig erobert hatten.
Ab fünf herrschte ein Treiben wie in einem Bienenschwarm, und die Theker und die Servicekräfte hatten mit den Gästen, die inzwischen ihren Arbeitstag beendet hatten, alle Hände voll zu tun. Zum Glück hellte der zweite Drink zum halben Preis die Stimmung der Besucher meistens auf, und das anfängliche Gemurre oder Schimpfen wurde durch Gelächter, fröhliche Gespräche, Augenzwinkern, Wimpernklappern und andere Rituale, die zur Paarung führen sollten, ersetzt.
Akten, Geschäftsbücher wurden verdrängt, und unbeantwortete Nachrichten gerieten in dem warmen goldenen Licht, über dem Klirren der Gläser und den Gratisnüssen in den kleinen Schälchen auf den Tischen in Vergessenheit.
Ab und zu wurde die Tür geöffnet, und dasOn the Rocks nahm einen weiteren Überlebenden des grausamen New Yorker Arbeitstages in Empfang. Zusammen mit dem Lärm der Straße wehte kühle Herbstluft in den Raum, doch kaum klappte die Tür zu, wurde es wieder warm und schummrig, und das Summen der zahllosen Stimmen setzte erneut ein.
Mitten in der Happy Hour, die hier statt einer Stunde anderthalb umfasste, brachen einige der Gäste schon wieder auf. Verpflichtungen, Familien oder irgendwelche heißen Dates zogen sie zur U-Bahn, einem Pendelflieger, Taxi oder Maxibus, wer blieb, nutzte die Gelegenheit zum Schwatz mit Freunden und Kollegen noch ein wenig aus, bevor es aus dem warmen goldenen zurück ins grelle Licht der Stadt oder ins abendliche Dunkel ging.
Macie Snyder hatte sich mit Travis, der seit einem guten Vierteljahr ihr Freund war, ihrer besten Freundin CiCi und mit Travis’ Kumpel Bren an einem Stehtisch aufgebaut. Sie wollte CiCi schon seit einer halben Ewigkeit mit Bren verkuppeln, denn dann könnten sie häufiger zusammen ausgehen und sich über ihre Freunde unterhalten, wenn sie bei der Arbeit waren. Sie waren eine gut gelaunte, ausgelassene Gruppe, wobei Macie die Fröhlichste von ihnen war.
CiCis und Brens Körpersprache und die Blicke, die sie miteinander tauschten, zeigten, dass sie eindeutig Gefallen aneinander hatten, und da CiCi ihr inzwischen ein paar kurze eindeutige Textnachrichten geschrieben hatte, wusste Macie, dass ihr Plan, zumindest was die Freundin anging, aufgegangen war.
Während sie eine zweite Runde kommen ließen, überlegten sie, im Anschluss an die Happy Hour noch zusammen in ein Restaurant zu gehen.
Auf ein schnelles Zeichen der Freundin schnappte Macie ihre Tasche und erklärte: »Wir sind sofort wieder da.«
Sie bahnte sich einen Weg vorbei an anderen Tischen, und als jemand an der Theke aufstand und ihr in die Quere kam, befahl sie fröhlich: »Aus dem Weg«, nahm CiCis Hand und zog sie über eine schmale Treppe bis zu der zum Glück nicht allzu langen Schlange vor dem Klo.
»Ich habe es doch gleich gesagt!«
»Ich weiß, ich weiß. Du hast gesagt, er wär attraktiv, und hast mir auch ein Bild gezeigt, aber dass erso gut aussieht, hätte ich beim besten Willen nicht gedacht. Vor allem ist er wirklich witzig! Meistens sind Blind Dates todlangweilig, aber mit Bren ist es echt toll.«
»Ich sage dir, wie’s weitergeht. Wir werden ihn und Travis dazu überreden, dass wir noch insNino’s gehen. Von dort aus müssen Trav und ich nach dem Essen in die eine und du in die andere Richtung gehen. Dadurch bekommt Bren die Chance, dich heimzubringen, und du kannst ihn fragen, ob er noch kurz mit raufkommen und was trinken will.«
»Ich weiß nicht.« Zögerlich wie eh und je – weshalb sie auch im Gegensatz zu Macie nicht in festen Händen war – knabberte CiCi an der Unterlippe und schüttelte unsicher den Kopf. »Ich will nichts überstürzen.«
»Du brauchst ja nicht mit ihm ins Bett zu gehen, wenn du nicht willst.« Macie rollte ihre runden blauen Augen himmelwärts. »Frag ihn einfach, ob er nicht noch einen Kaffee bei dir trinken möchte, und dann könnt ihr ja ein bisschen knutschen oder so.«
Sie musste wirklich dringend pinkeln, doch bevor sie in die nächste offene Kabine stürzte, bat sie ihre Freundin noch: »Und wenn er passt, schreibst du mir auf der Stelle, wie’s gelaufen ist. Und zwar inallen Einzelheiten, ja?«
CiCi trat in die benachbarte Kabine und erleichterte sich dort aus Solidarität mit Macie ebenfalls. »Mal sehen. Lass uns erst gucken, wie das Abendessen läuft. Vielleicht hat er danach ja keine Lust mehr, mich heimzubringen.«
»Doch, die hat er ganz bestimmt. Er ist ein echter Schatz, ich würde dich schließlich nicht mit einem Arsch verkuppeln, der dich allein gehen lässt.« Macie trat ans Waschbecken, beschnupperte die Pfirsichflüssigseife und grinste die Freundin an. »Wir werden jede Menge Spaß zusammen haben, wenn es wie geplant läuft. Dann können wir in Zukunft öfter alle vier zusammen ausgehen. Wäre das nicht toll?«
»Okay, ich finde ihn echt nett. Nur macht es mich immer total nervös, wenn mir ein Typ sympathisch ist.«
»Er fährt total auf dich ab.«
»Bist du sicher?«
»Hundert Pro.« Macie bürstete ihr kurzes sonnenblondes Haar und warf einen Seitenblick auf CiCi, die sich den Lippenstift nachzog. Himmel, dachte sie und stellte plötzlich fest, dass sie ein bisschen...