Teil I
Wie oben
November
Alex näherte sich Black Elm wie einem wilden Tier. Vorsichtig schlich sie die lange, gewundene Einfahrt hinauf und versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. Wie oft hatte sie diesen Weg schon zurückgelegt? Aber heute war etwas anders. Durch die kahlen Äste der Bäume kam das Haus in Sicht, als ob es auf sie gewartet, als ob es ihre Schritte gehört und sich bereit gemacht hätte. Es duckte sich nicht wie ein Beutetier. Vielmehr stand es da – zwei Stockwerke aus grauem Stein und ein spitzes Dach – wie ein Wolf, der seine Krallen in die Erde bohrt, die Zähne gebleckt. Früher war Black Elm zahm gewesen, glänzend und gepflegt. Aber es war zu lange sich selbst überlassen worden.
Die vernagelten Fenster im ersten Stock machten es nicht besser, eine Wunde in der Flanke des Wolfs, die ihn – unbehandelt – in den Wahnsinn treiben würde.
Sie schob den Schlüssel in das Schloss der alten schwarzen Tür und schlüpfte in die Küche. Hier drinnen war es kälter als draußen – sie konnten sich die Heizkosten nicht leisten, und für wen hätten sie auch heizen sollen? Trotz der Kälte und der Mission, wegen der Alex gekommen war, schien der Raum einladend. Kupferpfannen hingen in ordentlichen Reihen über dem großen altmodischen Herd, blitzeblank und begierig darauf, benutzt zu werden. Der Schieferboden war makellos, auf der aufgeräumten Anrichte stand eine alte Milchflasche mit Stechpalmenzweigen – Dawes’ Werk. Die Küche war der Raum, der am häufigsten genutzt wurde, die regelmäßige Zuwendung hielt ihn lebendig, eine saubere Stätte des Lichts. Das war Dawes’ Art, mit dem Schrecklichen, was sie getan hatten, umzugehen, mit dem Ding, das im Ballsaal lauerte.
Alex hatte eine Routine. Na ja, eigentlich hatte Dawes eine Routine, die Alex zu befolgen versuchte. Sie war wie ein Fels, an den sie sich klammerte, wenn, wie jetzt, die Angst in ihr aufstieg: Die Tür aufschließen, die Post sortieren und auf die Anrichte legen, Cosmo frisches Wasser und Futter geben.
Für gewöhnlich waren die Näpfe leer, aber heute hatte Cosmo sein Futter zur Seite geschoben und den Fußboden wie zum Protest mit Trockenfutter in Fischform übersät. Darlingtons Kater beschwerte sich, dass er allein war. Oder aber, dass er eben nicht mehr allein war.
»Vielleicht bist du auch nur ein wählerisches Miststück«, murmelte Alex, während sie sauber machte. »Ich richte dem Koch deine Bestellung aus.«
In der Stille klang ihre Stimme brüchig, sie gefiel ihr ganz und gar nicht, aber sie zwang sich, langsam und methodisch zu arbeiten. Sie füllte die Näpfe, entsorgte die an Daniel Arlington adressierte Werbung und steckte die Wasserrechnung, die sie mit ins Il Bastone nehmen würde, in ihre Tasche. Sorgsam ausgeführte Schritte einer Routine, aber deshalb bot sie ihr trotzdem keinen Schutz. Sie überlegte, ob sie Kaffee machen sollte. Sie könnte draußen in der Wintersonne sitzen und darauf warten, dass Cosmo seinen Beutezug nach Mäusen durch das labyrinthartige Gewirr aus Hecken beendete und sich dazu herabließ, zu ihr zu kommen. Ja, das könnte sie tun. Sie könnte ihre Angst und ihre Wut beiseiteschieben und versuchen, das Puzzle zusammenzusetzen, auch wenn sie das Bild, das mit jedem weiteren widerlichen Stück deutlicher wurde, gar nicht sehen wollte.
Alex blickte nach oben zur Decke, als ob sie durch die Holzdielen hindurchsehen könnte. Nein, sie konnte nicht einfach auf der Veranda sitzen und so tun, als wäre alles in bester Ordnung. Nicht, wenn ihre Füße sie die Treppe hinauftragen wollten, nicht wenn ihr Verstand darauf drängte, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen und zu vergessen, dass es je existiert hatte. Alex war aus einem bestimmten Grund hergekommen, der ihr auf einmal dumm erschien. Sie war dieser Aufgabe nicht gewachsen. Sie sollte mit Dawes sprechen, vielleicht sogar Turner einweihen. Zur Abwechslung einen Plan machen, anstatt sich kopfüber in die Katastrophe zu stürzen.
Sie wusch sich die Hände über der Spüle und erst als sie sich umdrehte und nach einem Handtuch griff, sah sie die