: Bridget Collins, Imogen Hermes Gowar, Kiran Millwood Hargrave, Andrew Michael Hurley, Jess Kidd, Eli
: Schaurige Nächte Unheimliche Geschichten für den Winter
: DuMont Buchverlag
: 9783832160784
: 1
: CHF 17.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Lange, kalte Winternächte: Zeit, um den Kamin zu entzünden, Zeit für Geistergeschichten. Ob in den wilden Mooren von Yorkshire, auf dem verschneiten Gelände eines Spukhauses oder auf dem belebten Londoner Weihnachtsmarkt - diese Geschichten, die von Gespenstern vergangener Tage erzählen, jagen den Lesenden die köstlichsten Schauer über den Rücken. So herrlich britisch wie ein Yorkshire Pudding, so stimmungsvoll und gruselig wie>Eine Weihnachtsgeschichte< von Charles Dickens und so spannend, dass man dieses Buch kaum aus den Händen legen kann.>Schaurige Nächte< vereint acht Erzählungen ausgewiesener Gruselexpert*innen, die eine alte Tradition neu beleben: Als Meister*innen des Unheimlichen und Makabren bescheren sie uns den köstlichsten Nervenkitzel.

Bridget Collins, Imogen Hermes Gowar, Kiran Millwood Hargrave, Andrew Michael Hurley, Jess Kidd, Elizabeth Macneal, Natasha Pulley, Laura Purcell sind vielfach ausgezeichnete und allesamt ins Deutsche übersetzte Autor*innen.

Imogen Hermes Gowar

THWAITES MIETER

ES REGNETE IN STRÖMEN, als wir ankamen, es war ein wahres Unwetter, das die Pferde verschreckte. Die Nacht war pechschwarz, und während das Wasser über die Fenster der Kutsche spülte, dachte ich:Die Flut ist gekommen, um uns alle fortzuschwemmen. Ich drückte den kleinen Stanley noch fester an meine Brust, aber er schlief fest und bekam von alldem nichts mit.Das ist meine Strafe, dachte ich, hielt aber die Tränen zurück, weil, wenn meinem Vater etwas aufgefallen wäre, hätte er nur gesagt: »Tust du dir selbst leid?«

Wir waren zunächst gut vorangekommen, aber der Regen wurde immer schlimmer und die Kutsche langsamer. Sie schlingerte und rutschte. Wieder und wieder steckte mein Vater den Kopf aus dem Fenster, um mit dem Kutscher zu reden, und wenn er ihn wieder hereinholte, lief ihm das Wasser über Nase und Bart. Der Kutscher verfluchte und lobte die Pferde in einem Atemzug, und je mehr unser Gefährt wankte, die Tiere gegeneinanderstießen und Stanleys Kopf auf meiner Schulter hin- und herrollte, umso größer wurde meine Angst. Endlich hielten wir an einer Stelle, an der die Straße sich teilte, und fuhren nicht wieder an.

»Alles in Ordnung?«, rief mein Vater, und der Kutscher antwortete etwas, das ich nicht verstand. »Verflixt!«, sagte mein Vater, sprang nach draußen, und seine Stiefel versanken im Matsch. Wasser floss unter den Rädern der Kutsche hindurch, die Straße war zu einem Fluss geworden, und ich saß ganz allein mit meinem kleinen Jungen da und hielt seine Wange mit meiner Hand.

Als mein Vater wieder einstieg, sagte er: »Es geht nicht mehr. Wir müssen zu Fuß weiter.«

»Was? Wie weit?«

Er fragte den Kutscher. »Zwei Meilen, ein bisschen mehr.«

»Wir sind eine Frau und ein Kind«, rief ich. »Von uns kann doch nicht erwartet werden …«

»Dummkopf! Die Pferde rutschen weg, wenn wir weiterfahren. Die Kutsche wird umstürzen. Du begibst dich offenbar lieber in Gefahr, als es ungemütlich zu haben.«

Wenn das so wäre, hätte ich sagen können,wäre ich noch zu Hause. Aber ich biss mir auf die Zunge und machte mich daran, Stanley zu wecken, der sein Gesicht nur noch tiefer in meinen Mantel grub und seine Finger mit meinen verschränkte. »Wir müssen ein Stück zu Fuß gehen«, sagte ich. »Kannst du das?«

»Mama, nein!«

»Ich trage ihn«, sagte mein Vater. »Du nimmst deine Reisetasche, die Truhe muss zurückbleiben.« Sie war aufs Dach der Kutsche geschnallt, und ich rang die Hände bei dem Gedanken daran – meine Kleider, meine Nadeln, meine Tücher, Stanleys Spielzeug und seine Bücher, das alles rutschte da oben auf der Kutsche hin und her, Regenwasser sickerte durch die Ecken und Fugen der Truhe und beschmutzte, was gut und schön war.

Ich hob Stanley von meinem Schoß und gab ihn meinem Vater. Er schrie verängstigt auf, der kleine Kerl, doch ich fand keine Worte, um ihn zu trösten. Niemand reichte mir die Hand, um mir aus der Kutsche zu helfen, ich sprang praktisch ins Nichts und landete stolpernd auf der Straße. Ich kam mir auf der Stelle komplett durchnässt vor, aber als die Kutsche im Regen verschwand und wir die abzweigende Straße weitergingen – schmal, ungepflastert, bergauf führend –, bekam ich erst einen Begriff davon, wie nass ein Mensch wirklich werden kann. Das Wasser drang unter meine Haube und in mein Haar, es lief mir zwischen den Schulterblättern hinab und fing sich zwischen den Knochen meines