1 Gehen lernen – Laufen lernen
1.1 Gehen lernen
»Gehen lernen?«, werden Sie vielleicht ungläubig fragen, wenn Sie die Überschrift zu diesem Kapitel lesen. Und Sie werden vielleicht zu der Erkenntnis kommen, dass es zwar unterschiedliche Theorien zum Laufen geben mag, doch zum Gehen, nein, da braucht es keine Anregung und bedarf es ganz sicher keiner Unterweisung. Gehen können wir alle, ob Kind, Erwachsener oder älterer Mensch, vielleicht etwas behindert von der einen oder anderen Arthrose, aber ansonsten ist Gehen doch der einfachste Vorgang der Welt. Was soll also ein solcher Gedanke? So oder so ähnlich werden sicher Ihre Überlegungen sein, und dennoch: Lassen Sie uns ein wenig über das Gehen plaudern.
Sicher, gehen können wir ebenso gut oder schlecht, wie wir laufen können, denn Laufen ist nichts anderes als schnelleres Gehen, so wie bei einem stufenlosen Getriebe. Wenn wir heutzutage – bedingt durch unsere kulturellen Gewohnheiten – »richtiges« Laufen verlernt haben, dann ist es einfach naheliegend, uns auch einmal über das Gehen Gedanken zu machen. Immerhin ist Gehen die Basis für alle weiteren Tempobeschleunigungen, bis hin zum Laufen im Wettkampftempo.
Wir wissen, dass unser Körper im Grunde nur aus einem Muskel besteht, dessen einzelne Glieder wir unterscheiden und fälschlicherweise häufig auch nur separat wahrnehmen. Wenn wir über die Funktion des Oberschenkelmuskels reden, berücksichtigen wir dabei nicht, dass ein Oberschenkel nur dann sinnvoll Arbeit verrichten kann, wenn Zehen- und Unterschenkelmuskulatur gleichfalls aktiviert werden. Doch damit ist es nicht genug. Sowohl beim Gehen als auch beim Laufen dient die Rückenmuskulatur zur Aufrechterhaltung des Oberkörpers, schwingen die Arme mit und bewegt sich der Kopf im selben Rhythmus. Unser gesamter Körper ist folglich von Kopf bis Fuß am Laufgeschehen beteiligt.
Es dürfte einsichtig sein, dass dann, wenn irgendwo auf dieser Körperstrecke ein Muskel nicht leistungsfähig, unterentwickelt und verkürzt ist, das Gesamtgefüge auch keine optimale Leistung bringen kann, weil eine funktionale Unterbrechung vorliegt. Daraus folgt die Gleichung, dass wir auch nicht optimal laufen können, wenn wir nicht optimal gehen können.
Was ist Gehen? Gehen ist die Vorwärtsbewegung eines Körpers, in diesem Fall eines menschlichen, unter Zuhilfenahme von zwei Beinen. Soweit die allgemeine Definition. Beim Gehen setzen wir einen Fuß vor den anderen, wobei auch hier die Ökonomie der Bewegung eine entscheidende Rolle spielt. Diese besagt, dass die Kraftentwicklung unserer Muskeln in möglichst verlustarme Vorwärtsbewegung umgesetzt werden soll. Dazu ist erforderlich, die Füße an dem Punkt abzudrücken, der von der Form und Funktion dafür geeignet und geschaffen ist: den Zehen.