Gewitter bei Ötzi
Nach einer angenehmen Nacht in einer kleinen privaten Pension im Bergsteigerdorf Vent, in der einige Wanderer wegen der Überfüllung der Schlafräume in der Saunakabine schlafen mussten (der Ofen muss in Betrieb gewesen sein, so wie sie am nächsten Morgen aussahen), steigen wir über die Martin-Busch-Hütte zur Similaunhütte auf.
Diese Hütte wurde vor über hundert Jahren errichtet. Sie liegt am Niederjoch, dem Übergang vom Ötztal ins Schnalstal. Sie wird von der Familie Pirpamer privat bewirtschaftet, aber wie eine Alpenvereinshütte geführt. Auf 3019 Meter an eine Felswand gepresst, ist sie der höchste Punkt der Alpenüberquerung, wenn man die Variante mit dem Endpunkt Vernagt geht.
Diese kürzere Variante haben Markus und ich gewählt, weil Markus nach unserer Tour sofort zu Dreharbeiten nach Köln muss, um eine Folge vonCobra 11 aufzunehmen. In Vent haben wir beim Abendessen noch gemeinsam den Text für seine Rolle geübt und dabei die Blicke der anderen Restaurantgäste auf uns gezogen. Der Text hatte mit Mord und Entführung zu tun, und die Leute reagieren immer komisch, wenn man über dergleichen in der Öffentlichkeit redet.
In der Similaunhütte haben wir unser nächstes Nachtlager gebucht, das Essen soll dort sehr gut, der Wein phantastisch sein. Weil wir früh ankommen und noch fit genug sind, beschließen wir, zur Fundstelle des sagenumwobenen Ötzi aufzusteigen. Immerhin wurde er umgebracht, das ist für mich als Thriller-Autor natürlich interessant.
Wir sind gerade eine halbe Stunde dorthin unterwegs, als es zum ersten Mal grummelt. Ein sommerliches Nachmittagsgewitter kündigt sich an. Um die umliegenden Berggipfel ziehen sich dunkle Wolken zusammen, ohne dass wir klar die vorherrschende Windrichtung erkennen können.
Aus Erfahrung weiß ich, dass man von so einem Sommergewitter sehr schnell überrascht werden kann. Bei einer Tour um das Sorapis-Massiv in den Dolomiten wurde mir das vor einigen Jahren zum Verhängnis. Ich hatte keine andere Chance, als mich in eine enge Felsspalte zu quetschen. Mutterseelenallein saß ich das Unwetter dort aus, um mich herum nur noch die Finsternis schwarzer Wolken, durchzuckt von Blitzen, dazu Sturzregen, und meine kleine Felshöhle bebte unter den Donnerschlägen. Ich gebe es zu, ich hatte die Hosen voll. Als es drei Stunden später vorbei war, brach ich vollkommen demotiviert meine Tour ab, stieg schleunigst ins Tal hinab und verbrachte die Nacht in der Sicherheit meines Autos, eingerollt im Heck des Kombis, wo ich die Beine nicht ausstrecken konnte.
Mit diesen Erinnerungen mache ich Markus darauf aufmerksam, dass es klüger wäre abzusteigen.
«Aber wir sind noch nicht beim Ötzi!», ruft er und schreitet weiter mutig voran.
Ich gebe zu, ich will die Stelle auch unbedingt sehen, also insistiere ich nicht weiter und laufe ihm nach.
Die Ötzi-Fundstelle befindet sich am Tisenjoch auf 3210 Metern. Eine Steinpyramide mit Informationstafel erinnert daran. Markus und ich sind von der ganz besonderen Atmosphäre dort oben ergriffen und verweilen länger, als es vernünftig wäre. Wir fühlen uns aus der Zeit gerissen an diesem archaischen Ort und versuchen, nachzuempfinden, wie es diesem einsamen Wanderer damals ergangen sein muss, als er sich hier zum Sterben niedergelegt hat.
Ein archaischer Ort, an dem man sich ganz klein fühlt.
Ein heftiger Donnerschlag reißt uns aus den Gedanken.
«Das Gewitter ist gleich da!», rufe ich Markus zu. «Los jetzt! Zurück zur Hütte. Mit ein bisschen Glück schaffen wir es noch.»
Wir haben kein Glück.
Unser Leichtsinn wird konsequent bestraft. Als das Zentrum des Gewitters über uns liegt, ist die Hütte noch fünfzehn Minuten e