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Kriminalhauptkommissar Eric Stiffler stand unter der mächtigen Weide, deren lange Äste einen grünen Vorhang bildeten und wie Angelschnüre in das trübe Wasser des Flusses eintauchten.
Das große Frühjahrshochwasser lag noch keine drei Monate zurück. Es hatte einiges an Treibgut den Fluss hinuntergespült, und ein paar kleinere Stämme hatten sich zwischen dem Ufer und den ein Stück weit ins Wasser hineinragenden Wurzeln der Weide verkeilt. An dieser Barriere waren Zweige, Äste und Gräser hängen geblieben, sie war angewachsen, Müll hatte sich angesammelt, das Rot einiger Coladosen blitzte daraus hervor, aber auch das gelbe M einer Frittenkette auf einer braunen Tüte.
Das Gesicht daneben war weiß.
Der Körper war unter der schwimmenden Barriere aus Treibgut verborgen, das Gesicht jedoch lag frei, die weit aufgerissenen Augen waren zum Himmel gerichtet. Vorwurfsvoll.
Warum kommst du jetzt erst, Eric?
Vielleicht waren das ihre letzten Gedanken gewesen, als sie um ihr Leben gekämpft hatte, vielleicht auch nicht, aber in Erics Kopf würde es für immer so sein. Der Anrufer mit der wässrigen Stimme hatte dafür gesorgt. Dieser Wichser kannte sich aus mit dem Innenleben der Menschen, er wusste, wie man Gedanken einpflanzte.
Sie badet, Stiffler … sie badet …
Eric wandte den Blick ab von Annabells totem Gesicht und sah auf. Es war still hier am Flussufer, wie meistens. Die Luft roch nach lebendigem Wasser, und der feine weiße Sand am Ufer gab jetzt die gespeicherte Wärme des Tages frei. An diesem Sandstrand hatte er oft mit Annabell gelegen, meistens am Abend, wenn dort kein Mensch mehr war. Es war der einzige Platz, an dem er sich mit ihr in die