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Durch das Display eines Smartphones betrachtet ist das Leben eine große Lüge. Edie stellte sich den Übertragungsprozess wie ein Schaubild im Physikunterricht vor, wie dasLP-Cover von Pink Floyd – ein weißer Lichtstrahl, der in einem Prisma gebrochen wird, zersplittert und sich in einen Regenbogen auffächert.
Ich meine, wie viel Täuschung, fragte sie sich, steckt schon in diesem einen gefälligen Foto? Sie betrachtete das verführerische Trugbild auf dem etwas verschmierten Bildschirm in ihrer Handfläche, während sie sich an der Hotelbar anstellte.
Um sie herum war quirliges Leben, die chaotische, struppige verschwitzte Wirklichkeit, unterlegt mit dem Soundtrack der Supremes –Where Did Our Love Go? In diesem Stillleben hingegen war alles für immer bildbearbeitet und makellos.
Unwahrheit Nummer eins: Sie und Louis sahen aus, als seien sie total vernarrt ineinander. Um ins Bild zu passen, hatte Edie ihren Kopf auf seine Schulter gelegt. Sie wirkte kokett mit ihrem rätselhaften Lächeln. Er posierte mit einem selbstzufriedenen James-Bond-Grinsen, das sagen sollte:Hey, alles cool, nur keine Aufregung. Es war tatsächlich keine große Sache.
Sie hatten fünf Stunden in platonischer Zweisamkeit verbracht – die Hochzeitsplanerin hatte Paare angeordnet, wie auf der Arche Noah –, und jetzt gingen sie sich auf die Nerven in der Hitze und im Alkoholdunst und in Kleidern, deren Taillenbünde enger und enger wurden wie eine aufgeblasene Blutdruckmanschette.
Edies High Heels, jedenfalls hoch genug, um der besonderen Gelegenheit Rechnung zu tragen, die von Anfang an wacklig waren, aber gerade noch erträglich drückten, quälten sie mittlerweile auf bösartige, geradezu mythische Weise; sie hätte ihre Meerjungfrauenflosse hergegeben für ein Paar Aschenbrödelschuhe und die Liebe eines Prinzen.
Lüge Nummer zwei: das Arrangement. Das funkelnd-fröhliche Partygirl Edie, das durch straßenkehrerbesengroße falsche Wimpern nach oben schaut. Man konnte die obere Hälfte ihres roten Kleids erkennen, mit dem hübsch hinaufgestemmten blassen Busen und dem diszipliniert eingezogenen Bauch. Louis’ markante Wangenknochen und das gesenkte Kinn sahen noch mehr nach einem Killer mit Bret-Easton-Ellis-Methoden aus als sonst.
Das lag daran, dass sie die Kamera in Armeslänge über ihren Köpfen hielten und außerdem fünf weniger schmeichelhafte Bilder verworfen hatten, nachdem sie ausgehandelt hatten, welches das beste war. Edie hatte Tränensäcke, Louis klagte, dass er ausgemergelt wirkte, mal war ihr Blick zu aufgesetzt, mal legte sich ein Schatten unvorteilhaft über ihre Gesichter.Okay, noch eins, noch eins. Posieren, Klick, Blitz. Ein halbes Dutzend Versuche hatte schließlich den gewünschten Erfolg gebracht: Sie sahen beide gut aus, aber nicht allzu sehr so, als hätten sie sich darum bemüht, gut auszusehen.
(»Warum machen heutzutage alle immer ein Gesicht, als würden sie an einer sauren Zwetschge saugen?«, hatte sich Edies Vater gefragt, als sie das letzte Mal zu Hause gewesen war. »Wahrscheinlich, damit sie dünn aussehen und einen Schmollmund haben. Aber in Wirklichkeit sehen sie gar nicht so aus wie auf dem Bild. Schon seltsam.«)
Louis, Instagram-Profi und besonders saure Zwetschge, spielte mit dem Licht und den Kontrasten. »Jetzt retuschieren wir uns zu Tode.«
Er wählte den Filter Amaro und tauchte sie in einen märchenhaften Limonadennebel. Ihr Teint war vollkommen, die Stimmung auf Hollywood-Art verträumt. Man konnte glauben, es sei ein perfekter Moment.Du hättest (nicht) dabei sein sollen.
Und dann war da noch die Bildunterschrift, die größte Täuschung von allen. Louis tippte sie ein und ging aufSenden. »Glückwunsch Jack& Charlotte! Was für ein unglaublicher Tag! Wir freuen uns so für euch!<3 #dasperfektepaar führt sein #bestesleben.«
Das galt vor allem den übrigen Leuten bei der Agentur Ad Hoc, die sich elegant aus der Affäre gezogen hatten, weil sie den Weg von London nach Harrogate gescheut hatten. Nichts stellte Popularität derart auf den Prüfstand wie Hunderte von Meilen auf der Autobahn.
Ein Like nach dem anderen trudelte ein. »Seufz. Ihr zwei seid auch #dasperfektepaar!« Louis antwortete: »Bloß Pech, dass ich schwul bin!«Das wäre unser geringstes Problem, dachte Edie. Allen war klar, dass Louis, wenn er