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Am heißesten Tag des Jahres hatte sich Ansgar Perschl auf der Straßenterrasse des Bistros einen Latte bestellt, war auf die Toilette gegangen und hatte beim Zurückkommen feststellen müssen, dass sich inzwischen ein Mann auf seinen Stuhl gesetzt hatte. Breitbeinig lümmelte er da in seinem hellen Anzug, eine Hand hing lässig über die Lehne, mit der anderen stützte er sich an dem Plastiktisch ab, als ob er ihn gerade ein Stückchen weggeschoben hätte. Tatsächlich waren der Speisekartenständer und die Zuckerdose umgefallen, die ersten gierigen Wespen interessierten sich schon für die Brösel. Perschl überlegte. War das nicht genau der gutgekleidete Mann, den er vorhin die Straße heraufkommen gesehen hatte? Perschl hatte den feinen Zwirn schon von weitem bemerkt. Er arbeitete als Verkäufer in einem renommierten örtlichen Trachtenmodenhaus und hatte deshalb den Blick für textile Feinheiten. Auch die Kopfbedeckung des Mannes fiel ihm auf. Das war kein stinknormaler Strohhut für zwofuchzig, das war ein echter, sündteurer Panamahut aus feinster Toquilla-Faser. Perschl nickte dem Mann kurz, aber freundlich zu, der reagierte nicht darauf. Auch gut, sein Problem, dachte Perschl. Gutgekleidet und unfreundlich, so haben wirs gern. Die Bedienung erschien, Perschl bestellte noch einen weiteren Latte, sie wiederum fragte den schweigsamen Mann im Panamahut:
»Haben der Herr einen Wunsch?«
Perschl blickte kurz auf. Der Mann hatte die strahlend weiße Kopfbedeckung tief ins Gesicht gezogen. Unter dem Jackett trug er eine Weste und ein viel zu dickes Leinenhemd. Er war überhaupt zu warm gekleidet für diese Hitze. Die Ärmel waren ihm verrutscht, blinkende Manschettenknöpfe kamen zum Vorschein. Die Bedienung wiederholte ihre Frage noch zweimal, stupste ihn dann kurz an.
»Hallo, der Herr!«
Es war eine kleine Berührung mit dem ausgestreckten Zeigefinger, eher ein symbolischer Fingerzeig, doch der Mann kippte nach dem Stups mit dem Oberkörper langsam nach hinten an die Stuhllehne und schien jetzt nachdenklich in die Ferne zu starren. Perschl war kein Mediziner, er kannte sich eher mit Fasern, Garnen und Zwirnen aus, aber er sah sofort, dass diesem Mann der Lebensfaden endgültig durchschnitten worden war.
Gerade in diesem Kurort, der an allen Ecken und Enden mit praller Lebensfreude und durchgehender touristischer Bespaßung warb, war die Rate der spektakulären Tode besonders hoch. Allein von der Schneefernerscharte sprangen pro Jahr ein Dutzend Lebensmüde die achthundert Meter hinunter in die Tiefe, sie reisten extra deswegen an, dabei hatte die Bergwacht, die sie bergen musste, genug zu tun mit den vielen verunglückten Halbschuhtouristen, Sonntagsbergsteigern und irren Extremsportlern.
»Jessas!«, entfuhr es der Fronitzer Karin, die ihren unheilbringenden Stupsefinger jetzt erschrocken zurückzog.
Ein paar Bistrogäste und Straßenpassanten versuchten, Erste Hilfe zu leisten, aber auch der gerufene Notarzt konnte nichts anderes als den Tod feststellen. Hitzschlag. Der Mann saß bequem in seinem Stuhl, der Notarzt hatte nach dem Pulsfühlen dessen erkaltende Hand auf den Tisch gelegt, es sah fast aus, als ob der seriöse Herr im Panamahut nach der Getränkekarte greifen wollte, die auf dem Tisch lag. Die Bedienung übernahm es, die Polizei zu rufen, Polizeiobermeister Franz Hölleisen erschien.
»Servus Perschi«, sagte er zu dem Herrenoberbekleidungsfachverkäufer. »Bleib noch einen Moment da, ich brauche dich als Zeugen.«
Perschi jedoch konnte wenig zum Fall beitragen, er hatte nichts weiter gesehen, als dass der Mann plötzlich als Toter dagesessen hatte. Auch sonst kannte ihn niemand, nicht einmal die Bedienung, die Fronitzer Karin, die sonst eigentlich ziemlich alle kannte.
»Wann hat er denn den Hitzschlag bekommen: schon beim Hergehen oder erst im Sitzen?«
Darauf wusste der Notarzt keine Antwort. Er und die Rettungssanitäter machten Anstalten, ihre Siebensachen einzupacken und den Abfl