: Anni Deckner
: Hallig-Melodie Ein Nordsee-Roman
: Zeilenfluss
: 9783967141160
: 1
: CHF 4.00
:
: Erzählende Literatur
: German
: 275
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wenn die Musik des Meeres die Vergangenheit anspült, bleibt nur die Flucht nach vorn - denn die Nordsee komponiert ihre ganz eigenen Geschichten. Die 35-jährige Starcellistin Enna Jakobi füllt sämtliche Konzertsäle. Um ihrer Tochter Erholung zu verschaffen, plant Mutter Hilke eine gemeinsame Auszeit ausgerechnet auf der Hallig Hooge: Dem Ort, an dem Enna einen Großteil ihrer Kindheit bei ihrem Großvater verbracht hat. Damit ist es mit einem Urlaub in Anonymität erstmal vorbei. Kurz nach ihrer Ankunft auf Hooge trifft Enna auf ihre Jugendliebe Jorin, der ihr Herz noch immer höherschlagen lässt. Und auch ein rätselhafter Unbekannter, der all ihre Konzerte besucht, scheint ihr im Urlaub keine Ruhe zu gönnen. Doch die Hallig Hooge birgt nicht nur Überraschungen, sondern hütet auch Ennas Familiengeschichte wie einen Schatz. Denn auf Hooge wissen die Bewohner mehr über Enna und ihre Herkunft, als sie selbst je erfahren durfte ...

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Hamburg


 

 

Enna Jakobi absolvierte die letzte Trainingseinheit vor dem abschließenden Konzert der Saison. Ihr Coach Sam reichte ihr wortlos ein Handtuch. Sie nickte ihm zu, tupfte sich nachdenklich die Schweißtropfen von der Stirn und bewegte sich in Richtung Duschraum. Dabei spürte sie Sams Blick im Nacken. Er war erst seit fünf Monaten ihr Trainer, wusste aber inzwischen genau, wie er Enna motivieren konnte, und unterstützte sie unnachgiebig dabei, ihren Körper fit zu halten. Ihre Mutter mutmaßte zwar, er wäre in sie verliebt, doch Enna war da anderer Ansicht, denn sie hatte ihn vor Beginn der Tour mit einer freundlichen blonden Frau gesehen, die laut Sam aus Polen stammte. Die beiden schienen außerordentlich glücklich miteinander.

»Enna?«

Sie drehte sich zu ihm um. »Ja?«

»Ich wünsche dir viel Erfolg für heute Abend.«

Sie lächelte. Dabei leuchteten ihre leicht schräg gestellten grünen Augen. Verlegen spitzte sie die Lippen.

»Danke schön, ich wünsche dir einen erholsamen Urlaub. Wenn du willst, sichere ich dir einen Platz für die Aufführung heute Abend.« Sie grinste. Sams Vorliebe für klassische Musik hielt sich in Grenzen, und er heuchelte Enna diesbezüglich nichts vor.

»Nicht nötig, aber danke«, sagte er freundlich.

»Schöne Grüße an deine Freundin, auch wenn ich sie nicht persönlich kenne.«

Sam lächelte nur selten, doch bei der Erwähnung seiner Liebsten entdeckte Enna ein angedeutetes Lächeln auf seinen Lippen.

»Gibst du mir Bescheid, wann du dein Training nach dem Urlaub wieder aufnehmen willst?«

»Auf jeden Fall, vielen Dank!«, rief Enna, während sie schon weiterging. Die Zeit wurde knapp, sie musste sich beeilen.

Sie überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, den Sport heute ausfallen zu lassen und stattdessen einen lockeren Spaziergang um die Alster zu machen. Vor dem Konzert dieses stramme Sportprogramm durchzuziehen war gewagt. Sie benötigte all ihre Kräfte für den Abend. Ihre Arme fühlten sich nun wie Pudding an. Dabei brauchte sie ihre Fingerfertigkeit und die Geschmeidigkeit ihrer Gliedmaßen für das Cellospiel.

Hamburg war ihr letzter Auftritt vor dem wohlverdienten Urlaub. Nach der mehrere Wochen langen Deutschlandtournee benötigte sie dringend eine Pause. Für die nächste Saison waren Konzerte im Ausland geplant. Die Tour würde in Paris anfangen, im Anschluss daran sollte die Reise nach London gehen. Auf ihren Besuch in der Schweiz freute sie sich am meisten. Nicht nur wegen der beliebten Schokolade, sondern auch weil eine ihrer Freundinnen dorthin gezogen war. Sie war vor einigen Jahren ihrem Herzen gefolgt und lebte nun mit ihrem Mann in Zürich. Auf dieses Wiedersehen war Enna gespannt, denn sie hatte den Partner von Klara bislang nicht kennengelernt. Die beiden hatten heimlich und nur in Begleitung der Eltern geheiratet. Anfangs war Enna enttäuscht gewesen, dass sie von dem Vorhaben nichts geahnt hatte. Aber letztendlich freute sie sich für die beiden.

Wie die Tournee danach weitergehen würde, wusste E