DER ANFANG
Der Mann am Ruder des Schoners richtete seinen Kurs auf einen Fixstern aus, summte dabei munter vor sich hin und dachte an seine Frau und die Kinder in Deutschland, träumte davon, sie wenigstens im nächsten Jahr wiederzusehen. Die zarten Wolkenschleier, die jetzt hinter ihm von Süden aufzogen und sich zu violettschwarzen Sturmwolken verdichteten, sah er nicht.
Der Wind an dieser verführerisch schönen Küste war ein tückischer Geselle. In dieser Nacht im November 1844 kam er aus dem glühenden Norden Moçambiques, strich um das Schiff herum, versetzte ihm einen spielerischen Stoß und rüttelte frech an der Takelage, ehe er sich duckte und eine Verschnaufpause einlegte. Das Ruder bockte unter den Händen des Steuermanns. Argwöhnisch spähte er vor sich in die mondlose Finsternis. Doch keine Wolke verdeckte den funkelnden Sternenhimmel, und das Meer atmete leise. Der Mann entspannte sich und korrigierte seinen Kurs ein wenig. Geräuschlos glitt das Schiff dahin. Alles war ruhig. Die Stunden bis zum Tagesanbruch versprachen friedlich zu werden.
Nun regte der Wind sich wieder, hüpfte übers Wasser, schlug ein paar sahnige Schaumköpfe, während er die Küste nach Süden hinunterfegte, und legte sich hinter dem Wolkenberg auf die Lauer. Er atmete tief ein und pumpte sich auf. Von Minute zu Minute gewann er an Kraft, und dann machte er sich auf den Weg. Mit furioser Stärke stürmte er übers Meer und warf sich auf das Schiff. Die Segel blähten sich mit einem Knall, der Schoner legte sich hart backbords, und dem Steuermann lief jählings das Ruder aus der Hand. Er fluchte und griff nach, konnte es aber nicht halten. Das Schiff torkelte, und unter Deck wurde Johann Steinach, der Kapitän, gegen die Wand seiner Koje geworfen.
Er sprang von der Seegrasmatratze, bevor er richtig wach war, und Sekunden später stand er neben seinem Rudergänger und stemmte sich mit ihm gegen das Rad, wobei auch er einen stetigen Strom heftigster Flüche von virtuoser Farbigkeit ausstieß.
Schwerfällig reagierte der Segler und schwang langsam wieder auf Kurs. Der Rest der Mannschaft, sechs verwegen aussehende Burschen, polterte den Niedergang hoch.
»Hängt euch ans Ruder«, brüllte Johann Steinach die beiden größten an. Sie gehorchten, und mit ihrem Gewicht gelang es ihm, das Ruder herumzuwuchten und Kurs aufs offene Meer zu nehmen. Er atmete durch. Seine größte Angst war, in die starke Strömung zu geraten, die direkt unter Land nach Norden lief, und auf die berüchtigten Unterwasserriffe Natals gedrückt zu werden.
»Alles sturmklar machen, refft die Segel!«, befahl er, und die vier übrigen Männer schwärmten aus.
Doch so schnell, wie er es noch nie vorher erlebt hatte, blies sich der Wind zur Orkanstärke auf. Die Wellen wurden steiler und gewaltig, sie warfen das Schiff herum wie eine Nussschale. Sein Schreien und Ächzen trafen Johann Steinach ins Herz, aber blankes Entsetzen überfiel ihn, als er die Riesenfaust der mächtigen Nordströmung spürte, die den Segler mit rasender Geschwindigkeit mit sich zog. Böen, härter als Hammerschläge, trafen es und trieben es immer näher an die steinerne Barriere. Zusammen mit dem Steuermann kämpfte er wie ein Berserker. Sein Schiff war alles, was er in