Wenn die Sonne das nächste Mal aufgeht, bin ich ein Mörder, dachte Konrad und freute sich auf den Morgen.
Er hörte den Fahrstuhl surren, der den vorletzten Redakteur des Osna-Kuriers in den Feierabend schickte. Einer blieb noch dort, und Konrad wusste, dass er es war, auf den es ankam. Dieser verließ das Haus immer als Letzter.
Seit fast einer Stunde versteckte sich Konrad auf dem WC in der fünften Etage des Verlagshauses, in dem das Schmierenblatt herausgebracht wurde. An die Dunkelheit hatte er sich gewöhnt, aber nicht an den scharfen Geruch des Kloreinigers, der bei ihm bohrende Kopfschmerzen verursachte. Er griff zur Innentasche seines cremefarbenen knielangen Mantels, zögerte aber.Nein, den schaffst du ohne. Den ersten Kandidaten auf deiner Todesliste, den ersten Verbrecher, der seine gerechte Strafe bekommen wird … und dann einer nach dem anderen.Jeder so, wie er es verdient, dachte Konrad, schulterte seinen Rucksack und trat aus der Tür.
Er ging den dunklen Gang entlang zum Büro des einzigen Redakteurs, der jetzt noch im Gebäude arbeitete. Zusammen mit dem Lichtschein drang aus der geöffneten Tür wie ein gespenstischer Nebel Qualm in den Korridor. Ohne zu klopfen, blieb er im Türrahmen stehen. Der Mann, der mit dem Rücken zu ihm am Schreibtisch saß und den Computer mit Lügen fütterte, hieß Valentin Klatt, leitender Lokalredakteur des Osna-Kuriers. Unverkennbar an den schmierigen, blond gefärbten Haaren.
»Was ist?«, fragte Klatt, ohne sich umzudrehen.
»Nabend«, sagte Konrad und staunte darüber, dass er bemerkt worden war.
»Ich habe gefragt, wasSie wollen.«
Konrad erkannte, dass ihn der Journalist im Glas des Panoramafensters musterte. Dahinter schimmerten die Lichter der Stadt im Osnabrücker Nachthimmel. Er vermutete, dass man hier, mitten auf dem Westerberg, besonders tagsüber einen gigantischen Ausblick genießen konnte. Mit seinen erst sechsunddreißig Jahren hatte Klatt sich den besten Platz in der gesamten Redaktion ergaunert. Konrad war fast zehn Jahre älter und bereit, ihm jetzt alles zu nehmen.
»Krasses Outfit mit dem Mantel und dem komischen Hut. Machen Sie einen auf Verkäufer Schlemihl aus der Sesamstraße?« Klatt lachte und zog an seiner Zigarette. »Wenn ja, will ich weder ein A noch ein Z kaufen, hab ich nämlich beides schon auf meiner Tastatur.«
»Ich komme aber nicht, um Buchstaben zu verkaufen«, antwortete Konrad mit ruhiger Stimme. »Ich biete Ihnen die Story Ihres Lebens an.«
»Ha! Das haben schon viele behauptet«, sagte Klatt. »Was für eine bringen Sie denn mit? Moment … ich hab’s. Im heimischen Garten ist aus heiterem Himmel der Winter ausgebrochen? Danke, kein Interesse. Und tschüss.«
»Winter?« Konrad erwiderte seinen Blick im Fenster.
»Sie tragen Handschuhe, Mann. Mitten in einer warmen Mainacht. Im Ernst, wenn Sie nicht wirklich einen Reißer haben, können Sie sofort einen Abflug machen. Wie sind Sie überhaupt hier reingekommen?«
»Durch die Tür.«
»Sagen Sie mal, wollen Sie mich verarschen? Wissen Sie, wer hier vor Ihnen sitzt?« Klatt schnellte mit dem Sessel herum, riss dabei eine Flasche vom Tisch, in der noch ein Rest Cola schwappte, hob sie auf und warf seine Kippe hinein. Es zischte leise.
»Kein Problem. Ich kann auch zur Konkurrenz gehen, wenn Sie kein Interesse an einer Sensation haben.«
»Okay, okay, Mann! Was ist es denn?«
»Sie tragen eine Sonnenbrille, wenn auch keine dunkel getönte, und zwar mitten in der Nacht. Ist die nicht genauso außergewöhnlich, wie es meine Handschuhe sind?«
»Das ist Mode, geht Sie aber auch nichts an«, sagte Klatt und zog sich mit der rechten Hand die lachsfarben getönte Brille mit dem Goldgestell von der Nase. »Also?«
Konrad lächelte. »Ich muss Sie warnen. Das, was ich mitbringe, wird Sie schocken.«
»Schocken? Mich schockt gar nichts mehr.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.«
»Setzen Sie sich! Ich schenke Ihnen zwei Minuten meiner überau