Inhaltsverzeichnis2. Tag
Samstag, 16. Mai
Kling-dong.
Mit Mühe streift er den Traum ab. Er wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht und verflucht die Kirchenglocken.
Kling-dong.
»Cazzo! Was für ein schrecklicher Traum.«
Kling-dong.
Unerbittlich schlägt direkt vor seinem Schlafzimmerfenster die Glocke des Turms der Basilica di San Pietro di Castello. Sieben Uhr.
Was für eine Qual, den Kopf zu heben und einen Fuß nach dem anderen auf den Boden zu stellen.
Als er eine halbe Stunde später den Bialetti-Espressokocher auf die Flamme stellt, schrillt die Klingel. Er geht zurück zum Schlafzimmer, öffnet das Fenster und schaut hinunter. Unten steht Claudio und fuchtelt mit den Armen.
»Claudio, was willst du am frühen Morgen? Ich habe noch nicht einmal …«
»Signor Commissario? Öffnen Sie, ich habe wichtige Informationen für Sie.«
Der Kommissar drückt auf den Türöffner, und kurz darauf ist Claudio oben. Der achtzehnjährige ehemalige Taschendieb, der ihm bei seinem letzten Fall geholfen hat, hat sich eine zitronengelbe Schutzmaske umgebunden. Er schwenkt mehrere Zeitungen und eine kleine Papiertüte mit zwei Cornetti.
»Commissario, Sie sehen ziemlich fertig aus. Haben Sie nicht gut geschlafen?«
»Was geht dich das an?«
In der Küche pfeift die Bialetti. Claudio hebt den Kopf. »Ah, Sie machen gerade einen Kaffee. Keine Sorge. Das übernehme ich, Signor Commissario.«
Bevor Morello es verhindern kann, schiebt Claudio sich an ihm vorbei, legt die Tüte und die Zeitungen auf den Tisch und verschwindet in der Küche. Morello hört ihn mit dem Espresso-Kocher hantieren. Der Kommissar seufzt und wirft einen Blick auf die Schlagzeilen der Zeitungen.
»Alle Zeitungen schreiben heute darüber, was gestern passiert ist«, ruft Claudio aus der Küche.
Morello liest: »Dank der Polizistin Klotze ist ein junger Afrikaner gerettet worden!«
Claudio kommt aus der Küche mit einem Tablett, auf dem zwei Tassen, der Kocher und eine Zuckerdose stehen. Er gießt den Kaffee ein und öffnet die Papiertüte.
»Da sind auch Fotos. Man sieht auch diesen weiblichen Kampfpanzer, diese Amazone …«
»Cazzo. Anna Klotze! Die Amazone hat einen Namen und heißt Anna Klotze.«
Claudio wirft die Zeitung auf den Tisch. »Anna Klotze. Entschuldigung. Und man sieht auch Sie, Signor Commissario, aber über Sie schreibt man nicht so freundlich.« Claudio angelt sich die Zeitung wieder und liest vor: »Dem Commissario ist es bisher nicht gelungen, die Covid-Betrügereien abzustellen. Ist er überhaupt der richtige Mann für unsere Stadt?«
Claudio legt die Zeitung wieder auf den Tisch und greift nach einem Cornetto. »Ich lese Ihnen vor, was sie über die Rettung des jungen Mannes schreiben …«
»Das brauchst du nicht. Erstens ist es mir egal, was dort steht, und zweitens weiß ich es schon. Ich war nämlich dabei.«
Morello nimmt seine Coppola von der Garderobe und stülpt sie sich auf den Kopf. Ohne seine geliebte sizilianische Mütze fühlt er sich nicht richtig angezogen, auch nicht beim Frühstück.
Claudio legt seine Maske beiseite und beißt in das Cornetto. Morello setzt sich zu ihm und zieht eine Tasse Kaffee zu sich hin, kippt Zucker hinein und rührt um.
Claudio zögert und greift dann zum zweiten Cornetto.
»Haben Sie keinen Hunger, Signor Commissario?«
»Nein. Das heißt, du kannst alles essen.«
Gierig beißt Claudio in das Cornetto.
»Sag mal, bist du hergekommen, um zu frühstücken, oder hast du mir etwas Wichtiges zu sagen? Ich erinnere mich, dass dies meine Wohnung ist und nicht etwa eine Bar.«
»Meine Großmutter, Nonna Angela, wollte wissen, ob sie ab Montag wieder Ihre Wohnung sauber machen kann. Dann, wenn wir nicht mehr zu Hause eingesperrt sind.«
»Sì, certo. Gut, dass du mich erinnerst.«
Er zieht den Geldbeutel aus der Tasche, nimmt einige Scheine heraus und legt sie auf den Tisch.
»Sag deiner Nonna, ich freue mich, wenn sie wieder zum Putzen kommt.«
»Ja, Signor Commissario, das werde ich ausrichten.« Er dreht den Kopf in Richtung Küche. »Es wird auch wieder höchste Zeit, wenn ich das bemerken darf, Commissario. Aber … ich wollte auch mal was fragen … wegen Geld verdienen … ich meine, seit Monaten, wegen des Coronavirus, konnte ich keine Arbeit finden, es geht mir schlecht wie allen Venezianern. Zum Glüc