I: Zusammenbruch oben ohne (Haley)
Es gibt nichts Besseres für eine Frau, um sich wieder wie ein Mensch zu fühlen, als eine Fahrt durch die Pacific-Northwest-Region mit offenem Verdeck und dem Sommerwind im Haar.
Sicher ist das auch irgendwie ein Klischee.
Ein klassischer Mädels-Roadtrip: meine Nichte und ich im Cabrio, alle hundertfünfzig Kilometer einen Erdbeersmoothie schlürfend, während die Götter uns wohlgesonnen sind und die Sonne vom Himmel strahlen lassen. Eigentlich viel zu perfekt.
Wer würde da schon vermuten, dass ich eigentlich vor meinen Problemen davonrenne, mich ins Nichts flüchte, ummich selbst zu finden, nachdem mir grausam das Herz gebrochen wurde.
Aber wenn man seinen Ex-Verlobten mit seiner Ex-besten-Freundin-Schrägstrich-Brautjungfer in einer Umkleidekabine erwischt, während das hässliche Brautjungfernkleid – für das du bezahlt hast – um ihre Hüften hängt und sein nicht maßgeschneiderter Smoking um seine Knöchel …
Ich glaube, dann hat man auch das Recht, klischeehaft zu reagieren.
Ich würde sogar sagen, ich habe das Recht zu noch viel mehr.
Vor allem, nachdem ich auch noch meine Kündigung in meinem Posteingang gefunden habe.
Gesundschrumpfen. Das war der Grund für die Entlassungen, die der gesichtslose Megakonzern durchgeführt hat, für den ich gearbeitet habe. Eine peinlich berührte Umarmung und eine halbherzige Entschuldigung meines Vorgesetzten später war ich draußen.
Und von diesem Zeitpunkt an lief dann alles so richtig scheiße.
Meine Nebenbeschäftigung – und meine wahre Leidenschaft – erledigte sich, als die Galerie, in der ich ausgestellt habe, meine Bilder buchstäblich in die Tonne kloppte.
Zu geringe Verkaufszahlen, hieß es. Mangelndes Interesse.
Ich kam mir vor wie in einer dieser Serien, in denen die weibliche Hauptfigur ihren Ex-Freund rausschmeißt.
Nimm deinen Scheiß und verschwinde.
Also habe ich meinen Scheiß genommen.
Ich habe ihn in den Kofferraum des Oldtimers meiner Schwester gepackt – einem wunderschönen nachtblauen 88er Ford Mustang Cabrio – und deren zehn Jahre alte Tochter Tara gekidnappt, weil sie eine viel bessere Gesellschaft ist als eine beste Freundin, die einem das Messer in den Rücken rammt, indem sie einem den Verlobten ausspannt.
Bei all den Klischees wünschte ich, wir würden zumindest gerade Las Vegas verlassen. Tatsächlich ist es nur Seattle, und wir sind auf dem Weg nach Chicago, wo ich ein neues Leben beginnen will. Zunächst werden wir uns ein bis zwei Monate bei meiner alten College-Freundin Julie einquartieren, bis ich einen neuen Job gefunden habe und mir eine eigene Wohnung leisten kann.
Irgendwann werde ich das Kind dann zurückbringen – denke ich.
Vielleicht in ein paar Wochen, wenn ihre Eltern aus Hawaii wiederkommen.
Über das Thema Verantwortung mache ich mir dann später Gedanken.
Jetzt, umgeben von hohen Wäldern, mit dem Blick auf die Berge am Horizont, dem Wind in meinem Haar, der Sonne im Gesicht und einer gewaltigen Wut auf das Leben im Bauch, finde ich es ganz angenehm, erst mal eine Zeit lang keine großen Entscheidungen treffen zu müssen.
Was ich tun werde, überlege ich mir, wenn ich in Chicago bin und mir die örtlichen Stellenanzeigen durchlese. Es handelt sich immerhin um eine Großstadt. Da wird es wohl genügend Möglichkeiten geben.
Bis dahin genieße ich einfach die Fahrt. Die Weite um mich herum.
Die süße Freiheit, für die ich mit einem schmerzhaften Stich in meinem Herzen bezahlt habe.
Tara ist auf dem Beifahrersitz eingeschlummert, obwohl der Fahrtwind ihr das dunkelbraune Haar ins Gesicht peitscht. Sie liebt die Sonne und hat sich eingerollt wie eine vor sich hindösende Katze auf einem warm beschienenen Stein.
Der Radiosender wechselt, als wir von einem Sendegebiet ins nächste fahren, und das Knistern und Rauschen weckt Tara auf. Gähnend hebt sie den Kopf und reibt sich über ein Auge. »Tante Hay?«, murmelt sie.
Ich hasse es, wenn sie mich so nennt. Hauptsächlich, weil ich mir dabei so alt vorkomme und mein erster Impuls die Antwort »Man sagt nicht Hey, sondern Hallo« ist. Und für diesen Alte-Oma-Spruch bin ich mit meinen fünfundzwanzig Jahren nun