: Andreas Kieling
: Kielings kleine Waldschule Vom Leben in der Natur
: Piper Verlag
: 9783492992770
: 1
: CHF 8.00
:
: Natur und Gesellschaft: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Andreas Kielings Videoblog »Kleine Waldschule« wird auf Facebook millionenfach aufgerufen und tausendfach geteilt. Der bekannte Dokumentarfilmer und Vortragsreferent diskutiert darin meinungsstark aktuelle Fragen: etwa die Rückkehr der Wölfe in Deutschland oder das Insektensterben und seine fatalen Folgen für das Ökosystem. Jetzt versammelt er die spannendsten Themen erstmals in einem Buch. Basierend auf jahrzehntelanger Erfahrung regt er an, sich mit der Natur neu auseinanderzusetzen. Er vermittelt, wann Großstadtbäume unsere Hilfe brauchen und Vogelfütterungen sinnvoll sind, was man über Biotope im näheren Umfeld, über Bienenhotels, Ameisenpopulationen, Krötenwanderungen oder Wildbegegnungen im Wald wissen sollte.

Andreas Kieling, 1959 in Gotha geboren, floh 1976 aus der DDR und bereist seit 1990 die Welt. Der vielfach preisgekrönte Dokumentarfilmer lebt in der Eifel. Neben Reisen in die entlegensten Regionen widmet er sich in seinen erfolgreichen Büchern vor allem der heimischen Natur. Zuletzt erschienen u.a. die Bildband-Bestseller 'Sehnsucht Wald' und 'Im Bann der wilden Tiere'.

Warum unsere Insekten sterben und was wir dagegen tun können


Als ich ein Kind war, waren Käfer, Waldameisen, Würmer, Engerlinge, Schnecken, Schmetterlinge und Motten, also nachtaktive Schmetterlinge, etwas völlig Normales. Wir Kinder schwärmten noch aus und sammelten Kartoffelkäfer von den Kartoffelsträuchern ab – wir bekamen dafür sogar Geld. Wenn wir über eine Wiese liefen, begleitete uns das Zirpen unzähliger Heuschrecken. Der Maikäfer war ein Allerweltstier, so häufig, dass wir ihn sammelten und an die Hühner verfütterten. Etwa alle vier Jahre gab es besonders viele dieser Blatthornkäfer mit den charakteristischen fächerförmigen Fühlern, denn zwischen drei und fünf Jahren dauert ihre Metamorphose vom Ei bis zum fertigen Insekt. Dann fraßen sie in manchen Regionen die Bäume kahl und waren eine regelrechte Plage. Nur wenige Jahre später hatte ich Mühe, in einem guten Maikäferjahr zehn von ihnen zu fangen. Die Tiere waren so selten geworden, dass es sogar ein Lied darüber gab. Die älteren Leser erinnern sich vielleicht noch an Reinhard Meys »Es gibt keine Maikäfer mehr« aus dem Jahr 1974. Meys Abgesang auf die Maikäfer ging in den allgemeinen Sprachgebrauch ein und dokumentierte Artensterben bei uns schon vor fast fünfzig Jahren.

Insekten gab es lange Zeit in solch rauen Mengen, dass man kaum gedacht hätte, dass es mal schlecht um sie stehen könnte. Aber dann wurden mit akribischer Systematik Agrarflächen und im Übrigen auch Wälder mit Herbiziden und Fungiziden besprüht, und natürlich mit Insektiziden, allem voran dem berüchtigtenDDT. Das war ein Megagift nicht nur für Insekten, sondern auch für insektenfressende Vögel. Deren Eier wurden aufgrund desDDT so dünnschalig, dass der Nachwuchs kaum mehr eine Überlebenschance hatte. Das Gift reicherte sich in der Nahrungskette immer mehr an und wurde so zum Beispiel auch Greifvögeln, Eulenvögeln, Füchsen und Mardern zum Verhängnis. Ich gehe davon aus, dass sich viele Arten bis heute nicht vom hemmungslosen Gebrauch vonDDT erholt haben, obwohl es bereits seit über vierzig Jahren (seit 1. Juli 1977) verboten ist. Das Ausbringen anderer Gifte und regelrechter Giftcocktails wurde derweil munter fortgesetzt. Das konnte nicht spurlos an der Natur vorübergehen, denn nicht nurDDT, jedes Gift potenziert sich in der Nahrungskette.

Hinzu kommt, dass die Kulturpflanzen, die wir anbauen, immer weniger für Insekten geeignet sind. In den riesigen Feldern mit Monokulturen haben Insekten überhaupt keine Chance, ausreichend Nahrung zu finden, vom Rapsglanzkäfer und anderen spezialisierten Schadinsekten abgesehen, und an den Rändern lässt die industrielle Landwirtschaft keinen Raum mehr für Grünstreifen, Hecken und Büsche. Selbst eine Wiese besteht heutzutage aus Hochleistungsgras: aus Weidegras oder aus Energiegras für Biogasanlagen, das nicht einmal mehr blüht. Diese Grünlandflächen sehen vielleicht ganz hübsch aus, wenn ihnen im Frühjahr Huflattich und Löwenzahn gelbe Sprenkel verpassen. Doch da hält sich keine Hummel auf, keine Feldlerche, nichts. Nach der Mahd wird Gülle draufgesprüht oder das übrig gebliebene Substrat aus der Biogasanlage, und spätestens dann ist das letzte Insekt tot. Falls überhaupt noch eines dort gelebt hat.

Die Forstwirtschaft trug ebenfalls ihren Teil bei. Wirtschaftswälder wurden sauber aufgeräumt, in den Monokulturen standen die Bäume ohnehin in Reih und Glied. Für umgestürzte Bäume oder Baumstümpfe war da kein Platz, das Totholz musste raus. Ich frage mich immer, warum man von »Totholz« spricht, denn es ist ja alles