: Jochen Thies
: Die Moltkes Biographie einer Familie
: Piper Verlag
: 9783492955058
: 1
: CHF 11.40
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: Sekundarstufe I und II
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Über 200 Jahre lang waren sie auf das Engste mit der deutschen Geschichte verbunden: Die Moltkes stellten nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa Politiker, Militärs, hohe Beamte, Künstler und Sportler. Jochen Thies hatte uneingeschränkten Zugang zu bislang unveröffentlichten Dokumenten und erzählt in diesem fesselnden Familienepos die Geschichte der Moltkes von den Anfängen bis heute.

Jochen Thies, geboren 1944 in Rauschen in Ostpreußen, Dr. phil., arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in London. Er war Redenschreiber von Bundeskanzler Helmut Schmidt, Ressortleiter Außenpolitik der Tageszeitung »Die Welt«, Chefredakteur der Zeitschrift »Europa-Archiv/Internationale Politik« und viele Jahre lang in leitenden Stellungen bei der ARD tätig. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien von ihm »Die Moltkes«.
Vorwort   Straßenlärm, Stille und Vergänglichkeit liegen am Großen Stern in Berlin dicht beieinander. Von dem riesigen Platz mit mehreren Fahrspuren, in dessen Mitte sich eine monumentale Siegessäule mit einer vergoldeten Göttin auf der Spitze erhebt, zweigt der Spreeweg ab. Er führt zum Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten. Einige Meter von der Einbiegung entfernt steht zur linken Hand eine überlebensgroße Statue von Helmuth Carl Bernhard von Moltke. Er war der preußische Generalstabschef und geniale Schlachtenlenker in den Deutschen Einigungskriegen von 1864, 1866 und 1870/71. Die sechs goldenen Lettern, die seinen Namen darstellten, sind abgefallen, das Familienwappen mit den drei Birkhähnen ist verblichen, in seinen von der Witterung ausgewaschenen Konturen kaum noch zu erkennen. Das Denkmal ist ungepflegt. Der hochgewachsene Generalfeldmarschall blickt stehend, entspannt, leicht zurückgelehnt, mit verschränkten Armen in der Uniform eines preußischen Offiziers, auf die Siegessäule. Ein Touristenpärchen bleibt für einen Augenblick stehen und geht dann weiter. Nur wenige Fußgänger verirren sich anscheinend auf diese Seite des Platzes, während die gegenüberliegende im Sommer mit dem dahinter befindlichen großen Biergarten die Massen anzieht. Einige Hundert Meter südlich, auf der Höhe des Bundeskanzleramtes, führt die Moltkebrücke über die Spree. Wenn man mit dem Schiff in Richtung Regierungsviertel fährt, kann man vom Deck für einen Augenblick das Konterfei des Generalfeldmarschalls studieren.  Nicht nur sie, auch zahlreiche andere Brücken, Denkmäler, Straßen und Schulen trugen und tragen noch den Namen Moltke. Fast aber hat es den Anschein, als ob die Schlussphase des Dritten Reichs, der Endkampf um die Berliner Reichskanzlei rund um die Moltkebrücke, die zerstört und später in unmittelbarer Nähe der Mauer wieder aufgebaut wurde, die Erinnerung an Helmuth von Moltke unter sich begraben hätte. Die heute zum neuen Bundeskanzleramt führende ehemalige Moltkestraße wurde 1998 in Willy-Brandt-Straße umbenannt. Eine öffentliche Diskussion gab es nicht. Helmuth Caspar von Moltke, der Sohn von Helmuth James von Moltke, fand die neue Namensgebung angemessen, hielt aber auch für wichtig, dass die Brücke weiterhin den Namen seines großen Ahnherrn trägt.   Wenige Wochen vor der Umrundung des Großen Sterns war ich mit meiner Frau nach Rostock gefahren. Auf der Autobahn ging es entlang der Stadtsilhouette in Richtung Warnowtunnel. Unser Reiseziel, der Toitenwinkel, lag nahe der letzten Ausfahrt vor dem Tunnel. Nach Westen ist er umfasst vom Fluss, dominiert von einer Plattenbausiedlung aus DDR-Zeiten, nach Osten begrenzt von einem Deich, vor dem die Eisenbahnlinie und die Autobahn entlangführen. Kein Mensch war auf den Straßen, als wir uns unserem Ziel näherten. Am nördlichen Rand des Stadtteils zeichnete sich ein kleines Wäldchen ab. Aus den Baumwipfeln lugte ein Kirchturm hervor. Wir bogen in eine verkehrsberuhigte Spielstraße ein. Wenige Augenblicke später standen wir vor der Kirche St. Katharina und St. Laurentius, an die sich auf der rechten Seite ein Kirchhof anschloss.  Es ist die Patronatskirche der Moltkes, die auf einem Fundament von Granitfeldsteinen errichtet wurde. Sie stammt vom Beginn des 14. Jahrhunderts, also aus der Zeit, als der dänische König Erich die Familie mit Privilegien für einige umliegende Dörfer ausstattete. Ein kaum für möglich gehaltener idyllischer Ort inmitten einer tischplattenartigen Landschaft, die die nahe Ostsee schon erahnen lässt. Aber sie weist nur noch wenige Spuren des Geschlechts auf, das Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals im Licht der Geschichte auftaucht. Wir gingen in die Kirche hinein, in der an diesem Sonntagmorgen eine Handvoll Menschen der Predigt einer Pfarrerin lauschten. Wenige Minuten später war der Gottesdienst beendet. Damit bot sich die Möglichkeit zu einem Rundgang und zu einer näheren Inaugenscheinnahme der Kirche, in der sich mehrere Grabsteine der Familie befinden. Im Chor über dem Altar entdeckte ich die drei Birkhähne, die das Familienwappen der Moltkes zieren. In einer Ecke war auf einer Tafel sogar der Stammbaum der Familie verzeichnet, die zu den bedeutendsten Adelshäusern Deutschlands zählt. In der nördlichen Seitenkapelle betrachteten wir ein großes Ölgemälde, das Joachim Friedrich zeigt, einen der letzten großen Moltkes auf Toitenwinkel, bevor der Besitz im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in andere Hände überging.   Meine zweite historische Reise zu den Moltkes führte mich an einem schönen Maitag 150 Kilometer von Berlin nach Parchim, den Geburtsort von Helmuth Carl Bernhard von Moltke. An der Ausfahrt Parchim verließ ich die Autobahn und durchquerte die Ruhner Berge, ein hügeliges Gelände mit Wiesen, Wäldern und von Butterblumen übersäten Feldern. Die herbe Landschaft von Mecklenburg-Vorpommern hatte über Nacht ihre ganze Pracht entfaltet. Von Kastanienbäumen gesäumte Alleen standen in voller Blüte. Eine Art Heidelandschaft, stellenweise mit Sümpfen durchsetzt, breitete sich vor meinen Augen aus. Dann tauchten Rapsfelder auf. Ich fuhr an kleinen Dörfern und verf