: Eva Lohmann
: Kuckucksmädchen Roman
: Piper Verlag
: 9783492958486
: 1
: CHF 7.20
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sich endlich im eigenen Leben einrichten? Ein Nest zu bauen wie ihre Freunde? Alles könnte so einfach sein - Wanda bräuchte nur ja zu sagen undmit Jonathan in die Altbauwohnung ihrer verstorbenen Großeltern zu ziehen.Aber Wanda kann nicht. Schon deshalb nicht, weil sie professionelle Haushaltsauflöserinist und somit vom Ende aller Beziehungen lebt. Außerdemquält sie die Frage: Wie wäre das Leben mit einem anderen Mann verlaufen? Wanda muss Gewissheit haben und setzt sich in die gemachten Nester ihrer Exfreunde: In Max' buntes Bullerbü mit Anouk und in Philips lauwarmes Spießervergnügen mit Larissa. Doch spätestens beim Testsex mit ihrer Jugendliebe Ilja stellt das Kuckucksmädchen ernüchtert fest: Die Antwort liegt nicht bei den anderen - sondern ganz allein bei ihr ...

Eva Lohmann, Jahrgang 1981, arbeitet als Inneneinrichterin und Werbetexterin in Hamburg. Ihr schonungslos offenes Debüt 'Acht Wochen verrückt' über die Erlebnisse ihrer Heldin in einer Psychoklinik fand große Beachtung in der Presse und wurde ein Publikumserfolg.
Für Ana und die Ameise   »Wie komme ich auf den richtigen Weg?«, fragte Alice den Hasen. »Das kommt darauf an, wo du hinwillst.« »Ich weiß es nicht«, antwortete Alice. »Ja dann«, sagte der Hase, »ist es ganz einfach. Du kannst den einen oder den anderen Weg wählen. Wenn du das Ziel nicht kennst, ist die Wahl des Weges unwichtig.«   Lewis Caroll, Alice im Wunderland   1   »In der Liebe gibt es immer einen Anfang und ein Ende. So ist das eben.« »Aber was ist mit der Zeit dazwischen?« »In der Zeit dazwischen trauert man dem Anfang nach und wartet auf das Ende.«   Catherine Deneuve in Die Männer, die ich liebte   Es ist sieben Uhr achtunddreißig, ich liege im Bett und bin noch nicht mal richtig wach, als mein Herz plötzlich und unvorhergesehen den ersten Satz seines Lebens sagt. Das Bett setzt sich zusammen aus einem hochglanzweiß lackierten verschnörkelten Metallgestell, einer wollweißen Matratze, schneeweißer Bettwäsche und riesigen weißen Federkissen. Es steht vor einer kalkweißen Wand, und unter dem Bett, auf dem Parkett, liegt ein weicher, elfenbeinweißer Teppich, der jeden Morgen zuverlässig meine ersten drei Schritte nach dem Aufstehen dämpft. Der Rest des Schlafzimmers ist ebenfalls weiß. Wollweiß, kalkweiß, birkenweiß - der Raum sieht aus wie ein unbeschriebenes Blatt. Ich mag das Gefühl, morgens in einem Berg aus frisch geschlagener Sahne aufzuwachen. Nur hin und wieder stelle ich eine Vase mit einer einzelnen gelben oder pinken Tulpe auf die marmorweiße Platte meines Nachttischchens, komme mir dabei wahnsinnig mutig vor und bin froh, wenn sie nach vier Tagen langsam den Kopf hängen lässt und ich sie endlich wegschmeißen darf. Mein Schlafzimmer ist im Gegensatz zur restlichen Wohnung weiß und weich und sehr ordentlich. Es gibt nur einen einzigen Tag in der Woche, an dem ich für ein paar Stunden das Chaos einziehen lasse. Am Sonntagmorgen stehe ich kurz auf, kaufe mir am Bahnhof die Zeit und lege mich damit wieder ins Bett. Dann lese ich mich kreuz und quer durch die Seiten, wobei ich die einzelnen Blätter auseinanderrupfe und gedankenverloren links, rechts, vor und hinter mir verteile, bis ich irgendwann in einem Berg von Zeitungsseiten sitze. Wenn alles so ist, wie es sein soll, kommt in diesem Moment Jonathan mit einem Frühstückstablett aus der Küche und spricht die zwei immer gleichen Sätze, die er unbeirrt seit sechsunddreißig Monaten bei diesem Anblick sagt: »O wie schön. Ein ganzes Bett voller Zeit. «   Ich liebe mein Bett. Es ist der wichtigste Gegenstand in meinem Leben. Ich brauche es zum Schlafen und Wachsein, Lesen und Nachdenken, zum Essen, Vögeln und Weinen, zum Telefonieren, zum Kranksein und Abschotten, zum Glücklich- und Unglücklichsein. Nur vor einem kann mich auch mein Bett nicht retten: diesem Montagmorgen. Ich bin liegen geblieben, als um sieben Uhr dreißig der Wecker geklingelt hat. Aus Angst vor dem, was heute kommen würde, habe ich die Augen geschlossen gehalten und versucht, mir vorzustellen, der Tag hätte noch nicht begonnen. Dann kam um sieben Uhr achtunddreißig die Sache mit dem Herzen dazwischen. Der erste Satz, den mein Herz zu mir sagt, lautet: - Schade, das mit den Brüsten. Seltsamerweise bin ich weder erschrocken noch empört. Ich mag diese Stimme, ich erkenne den Beat, und ich antworte im Stillen und ohne nachzudenken: - Ist mir auch schon aufgefallen. Früher sahen sie irgendwie besser aus. Ich schlage die Bettdecke zurück, bin plötzlich gar nicht mehr müde, stehe auf und laufe auf nackten Füßen zum Schlafzimmerspiegel. Dort hebe ich mein durchgescheuertes I-love-Brooklyn-T-Shirt hoch und starre die Brüste an. Es ist wie mit alten Bekannten, die man lange nicht gesehen hat und bei denen man sich nicht ganz sicher ist, ob sie es wirklich sind. Meine Brüste starren zurück. Wenigstens schauen sie nicht zu Boden. Ich nehme sie in beide Hände und presse sie nach oben. Meine Silhouette verbessert sich schlagartig. Sie haben weniger ihre Form verändert, sondern sind eher im Ganzen zwei Zentimeter nach unten gewandert. Vorsichtig nehme ich die Hände wieder weg. - Es geht schon, antwortet das Herz. Ein paar Jahre halten sie bestimmt noch durch. Und irgendwann sind sie ja auch nicht mehr nur dazu da, anderen zu gefallen. O rücksichtsloses kleines Herz! Nach all den Jahren der Selbstgespräche ist es zwar schön, dass endlich jemand antwortet, aber leider scheint es dabei wenig einfühlsam vorzugehen. Ich lasse das T-Shirt wieder sinken und merke, wie ich anfange zu zittern. Sieben Uhr fünfundvierzig. An einem normalen Arbeitstag müsste ich in einer halben Stunde das Haus verlassen und jetzt schnell ins Bad. Aber das hier ist kein normaler Arbeitstag, ab heute wird alles ein bisschen anders, alles ein bisschen komplizierter sein. Abgesehen davon, hat vor sieben Minuten mein Herz angefangen zu sprechen, ich habe also definitiv das Recht auf noch ein wenig Ruhe und gehe lieber wieder ins Bett, vorsichtig lauschend, um nichts von dem zu verpassen, was als Nächstes kommt. Als Nächstes kommt - eine Beleidigung: - Ich beobachte dich seit einer ganzen Weile, Mädchen. Das mit den Brüsten ist schade. Aber weißt du, was noch viel schlimmer ist? Ich langweile mich. Du langweilst mich. Bis auf die paar heimlichen SMS mit Max ist bei dir seit Jahren nichts Aufregendes mehr passiert. Das Herz ist gut informiert, was habe ich erwartet? Max und ich hatten angefangen, uns Nachrichten zu schreiben, erst durch irgendeinen Zufall, ganz ungeplant, er war nur ein Ex von vielen. Dann machten wir weiter, irgendwie hörte keiner von uns auf, auf jede SMS folgte eine Antwort, und plötzlich wurden diese Antworten immer anzüglicher. Da weder Max noch ich unseren Partnern diese SMS gerne vorgelesen hätten, kann man wohl davon sprechen, dass es ein Geheimnis war. Vielleicht war es auch ein ganz kleines bisschen mehr - ich bin mir nicht sicher, in welche Kategorie SMS-Sex fällt -, aber am Ende war es doch nur ein Telefon, das ich in meinen nassen Händen hielt. Es war die leichteste Form von Betrug, manchmal war es viel, manchmal war es nichts. Auf keinen Fall war es etwas, für das Jonathan mich ernsthaft würde verlassen können.   Ich bin seit drei Jahren mit dem gleichen Mann zusammen. Das grenzt für mich an ein Wunder. Einer der Gründe für dieses Wunder ist wohl Jonathans Gespür für perfekt abgepasste Zeitpunkte. Fast exakt acht Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten, sagte er das erste Mal, dass er mich liebt. Man darf das Timing solcher Sätze nicht unterschätzen, sechs Wochen vorher hätte ich ihm vielleicht noch nicht geglaubt, zwei Monate später hätte ich ihm sein Zögern vielleicht übel genommen. Aber Jonathan sagte seinen Satz zu genau der richtigen Zeit und in genau der richtigen Tonlage. Er sagte ihn leise und ohne Pathos, während ich gerade einen Einkaufszettel schrieb und ihn fragte, ob ich ihm etwas vom Drogeriemarkt mitbringen solle. Fast hätte ich es überhört, so nebensächlich ließ er seinen Satz neben mir fallen, aber meine Ohren fingen ihn gerade so noch auf, und ich lächelte in mich hinein und schrieb sehr langsam und mit größter Sorgfalt das Wort » Nagellackentferner« auf meinen Zettel. Ein halbes Jahr später stellte er mich seinen Eltern vor, und auch hier bewies er ein gutes Timing, indem er verdammte zwei Stunden lang meine Hand unter dem elterlichen Biedermeiertisch hielt und sie erst dann wieder losließ, als seine Mutter begann, von ihrer Hochzeit zu erzählen.   Ja, man kann sagen, dass Jonathan ein gutes Gefühl für das richtige Tempo hatte. Ich fühlte mich weder überfahren noch gelangweilt, und ganz langsam fingen wir an, den gleichen Rhythmus anzunehmen. Zwei Jahre lang tanzten wir so vor uns hin, und alles war irgendwie gut und okay - bis Jonathan fand, man könne doch jetzt mal zusammenziehen, und das war der Moment, in dem der Beziehungsbeat ins Stocken kam. Ich wollte nicht mitziehen. Ich wollte nicht zusammenziehen. Ich wollte die Zeit anhalten. Und irgendwie habe ich das sogar geschafft. Seit einem Jahr ist