: Arianna Farinelli
: Aufbrüche Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104912936
: 1
: CHF 19,00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Eine Liebesgeschichte und ein Roman über Demokratie« Roberto Saviano Die Italienerin Arianna Farinelli erzählt in ihrem Roman »Aufbrüche« die Geschichte einer Liebe und einer Familie zwischen New York und Rom, in der im Privaten stattfindet, was unsere Welt bewegt: Clash der Kulturen, Gender, Rassismus und die große Frage nach der weiblichen Identität. Die Autorin lebt seit langem in New York und erzählt einfühlsam und gnadenlos, was es bedeutet, Frau, Mutter, Geliebte und ein politischer Mensch zu sein.

Die Italienerin Arianna Farinelli, geboren 1975 in Rom, lebt seit über 20 Jahren in New York, wo sie als Professorin für Politikwissenschaften am Baruch College der City University New York lehrt. Wissenschaftliches schreibt sie auf Englisch, ihre Herzenssprache, in der sie auch ihren ersten Roman »Aufbrüche« verfasst hat, ist aber Italienisch.

1.

Unter drei Schichten von Dunkelheit


Die Bewohner der Stadt Ninive waren Götzendiener und führten ein zügelloses Leben. Da beschloss Allah, ihnen den Propheten Yunus zu schicken, um sie zu bekehren. Doch die Bewohner von Ninive wollten nicht auf ihn hören. Sosehr Yunus versuchte, sie von der Nutzlosigkeit ihrer Götzendienerei und der Güte von Allahs Geboten zu überzeugen, sie gingen beharrlich über seine Ratschläge hinweg. Yunus warnte sie: Wenn sie weiterhin falsche Götter anbeteten, würde Allah sie bestrafen. Doch anstatt die Strafe Allahs zu fürchten, erwiderten sie, sie hätten vor seinen Drohungen keine Angst. Also beschloss der Prophet erzürnt, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Und da er fürchtete, dass die Strafe Allahs kurz bevorstehe, verließ er Ninive. Im Koran heißt es: Denk an Yunus, als der erzürnt von dannen ging und glaubte, Allah werde ihn dafür nicht strafen. Wie viel Unglück musste er dann erdulden!

Yunus war gerade erst aus der Stadt aufgebrochen, als der Himmel die Farbe wechselte, es war, als stünde er in Flammen. Bei diesem Anblick gerieten die Bewohner von Ninive in Angst. Sie wussten nur zu gut, welches Schicksal die ‘Ād und Thamūd und das Volk Noahs ereilt hatte. Nach und nach kam der Glaube über sie und berührte ihre Herzen. Da stiegen sie auf den Berg und begannen, Allah um Erbarmen und Vergebung zu bitten. Der Berg hallte von ihren Klagen wider. Allah, der erkannte, dass ihre Reue aufrichtig war, sah von seiner Bestrafung ab und segnete sie. Der Sturm, der sie bedroht hatte, zog über die Stadt hinweg, und die Bewohner von Ninive beteten um Yunus’ Rückkehr.

Inzwischen hatte Yunus ein Boot bestiegen und war den ganzen Tag lang mit einigen anderen Reisenden durch ruhige Wasser gesegelt. Als die Nacht hereinbrach, veränderte sich das Meer mit einem Mal. Ein schrecklicher Sturm peitschte auf das Boot ein und drohte, es in Stücke zu schlagen. Hinter dem Boot durchpflügte ein großer Walfisch mit offenem Maul das Wasser. Allah hatte ihm befohlen, vom Meeresgrund aufzusteigen und dem Boot zu folgen. Der Sturm tobte weiter, und der Kapitän befahl seiner Besatzung, Ballast abzuwerfen. Die Seeleute warfen die gesamte Ladung über Bord, aber das genügte nicht. Da beschlossen sie, einen der Mitreisenden ins Meer zu werfen, um die Last noch weiter zu verringern. So, dachten sie, würden sie den Zorn der Götter besänftigen. »Lasst uns Lose ziehen und sehen, wer ins Meer geworfen werden soll«, sagte der Kapitän.

Auch Yunus, der keinem derartigen Aberglauben anhing, sah sich gezwungen, ein Los in die Schale zu legen, und beim ersten Mal wurde sein Name gezogen. Aber der Kapitän und seine Besatzung wollten ihn nicht ins Meer werfen. Sie wussten, dass er der Gerechteste unter ihnen war. Da beschlossen sie ein zweites und ein drittes Mal, das Los entscheiden zu lassen, doch immer wurde Yunus’ Name gezogen. Also stand der Entschluss fest. Yunus musste ins Meer geworfen werden. Der Prophet trat auf