: Sally Rooney
: Gespräche mit Freunden Roman
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641205607
: 1
: CHF 8.10
:
: Erzählende Literatur
: German
: 400
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Frances und ihre Freundin Bobbi, Studentinnen in Dublin, lernen das gut zehn Jahre ältere Ehepaar Melissa und Nick kennen. Sie treffen sich bei Events, zum Essen, führen Gespräche. Persönlich und online diskutieren sie über Sex und Freundschaft, Kunst und Literatur, Politik und Genderfragen und, natürlich, über sich selbst. Während Bobbi von Melissa fasziniert ist, fühlt sich Frances immer stärker zu Nick hingezogen ... Ein intensiver Roman über Intimität, Untreue und die Möglichkeit der Liebe, eine hinreißende, kluge Antwort auf die Frage, wie es ist, heute jung und weiblich zu sein.

Sally Rooney wurde 1991 geboren, ist in Castlebar, County Mayo, aufgewachsen und lebt in Dublin. Ihre frühen Arbeiten sind erschienen inThe New Yorker, Granta, The White Review, The Dublin Review, The Stinging Fly,Kevin Barrys Stonecutter und der Anthologie Winter Pages. Sie studierte am Trinity College Dublin, zunächst Politik, machte dann ihren Master in Literatur. Sie war dort 2013 die Nr. 1 bei den European University Debating Championships. Rooneys Debütroman »Gespräche mit Freunden« war Book of the Year inSunday Times, Guardian, Observer, Daily Telegraph undEvening Standard. Der Roman kam auf die Shortlist desSunday Independent Newcomer of the Year Award 2017, des International Dylan Thomas Prize und des Rathbones Folio Prize 2018. Rooney war die Gewinnerin desSunday Times/Peters Fraser& Dunlop Young Writer of the Year Award 2017, den u.a. auch Zadie Smith und Sarah Waters gewannen. Rooney ist inzwischen Redakteurin des irischen LiteraturmagazinsThe Stinging Fly. Ihr zweiter Roman »Normale Menschen« wurde für den Man Booker Prize 2018 nominiert und gewann u.a. den Costa Novel Award, den An Post Irish Novel of the Year Award und den British Book Award (Novel of the Year und Book of the Year).

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Bobbi und ich trafen Melissa zum ersten Mal bei einer Poetry Night in der Stadt, wo wir gemeinsam auftraten. Melissa machte draußen von uns Fotos, während Bobbi rauchte und ich verlegen mein linkes Handgelenk mit der rechten Hand umklammerte, als hätte ich Angst, es würde sich von mir wegstehlen. Melissa benutzte eine große, professionelle Kamera, und in einer speziellen Kameratasche hatte sie viele unterschiedliche Objektive verstaut. Sie plauderte und rauchte, während sie fotografierte. Sie sprach über unseren Auftritt, und wir redeten über ihre Arbeit, auf die wir im Internet aufmerksam geworden waren. Gegen Mitternacht schloss die Bar. Es fing gerade an zu regnen, und Melissa lud uns auf einen Drink zu sich nach Hause ein.

Wir setzten uns alle drei auf die Rückbank eines Taxis und schnallten uns an. Bobbi saß in der Mitte, sie hatte den Kopf so gedreht, dass sie mit Melissa sprechen konnte, und ich sah auf ihren Nacken und ihr kleines, löffelartiges Ohr. Melissa nannte dem Fahrer die Adresse in Monkstown, und ich sah aus dem Fenster. Eine Stimme drang aus dem Radio und sagte: Achtziger … Pop … Klassiker. Dann ertönte ein Jingle. Ich war aufgeregt, bereit für die Herausforderung, in die Wohnung einer Fremden zu gehen, und legte mir schon Komplimente und bestimmte Mienen zurecht, um charmant zu wirken.

Wir hielten vor einer Doppelhaushälfte aus rotem Backstein mit einer Platane davor. Unter dem Licht der Straßenlampe wirkten die Blätter orange und künstlich. Ich war ein großer Fan davon, mir anderer Leute Häuser von innen anzusehen, besonders wenn die Leute ein bisschen berühmt waren, wie Melissa. Sofort beschloss ich, mir alles genau zu merken, damit ich es später unseren Freunden beschreiben konnte, mit Bobbi als Zeugin.

Als uns Melissa hineinließ, rannte uns ein kleiner roter Spaniel auf dem Flur entgegen und fing an zu bellen. Im Flur war es warm, und das Licht war an. Bei der Tür stand ein niedriger Tisch, auf dem jemand einen Haufen Kleingeld, eine Bürste und einen offenen Lippenstift hatte liegen lassen. Über der Treppe hing ein Modigliani-Druck, eine nackte Frau, die sich nach hinten lehnt. Ich dachte: Das ist ein ganzes Haus. Eine Familie hätte hier Platz.

Wir haben Gäste, rief Melissa in den Flur.

Niemand zeigte sich, also folgten wir ihr in die Küche. Ich erinnere mich, dass mir eine dunkle Holzschale mit reifen Früchten und der verglaste Wintergarten auffielen. Reiche Leute, dachte ich. Damals dachte ich ständig über reiche Leute nach. Der Hund war uns in die Küche hinterhergelaufen und schnüffelte an meinen Füßen herum, aber Melissa erwähnte den Hund nicht, also taten wir es auch nicht.

Wein?, fragte Melissa. Weiß oder rot?

Sie schenkte uns riesige, kugelförmige Gläser ein, und wir setzten uns an einen niedrigen Tisch. Melissa fragte uns, seit wann wir zusammen Spoken-Word-Gedichte aufführten. Wir waren beide gerade mit unserem dritten Jahr an der Uni fertig, aber wir traten schon seit der Schule auf. Die Prüfungen waren mittlerweile vorbei. Es war Ende Mai.

Melissas Kamera lag auf dem Tisch, und ab und zu griff sie danach, um ein Foto zu machen, und lachte dabei selbstironisch, sagte, sie sei »arbeitssüchtig«. Sie zündete sich eine Zigarette an und aschte in einen kitschigen Aschenbecher aus Glas. Im Haus roch es überhaupt nicht nach Rauch, und ich fragte mich, ob sie sonst auch drinnen rauchte oder nicht.

Ich hab neue Leute kennengelernt, sagte sie.

Ihr Ehemann stand in der Küchentür. Er hob zur Begrüßung die Hand, und der Hund raste kläffend und winselnd um ihn herum.

Das ist Frances, sagte Melissa, und das ist Bobbi. Sie sind Lyrikerinnen.

Er nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und öffnete sie auf der Küchentheke.

Komm, setz dich zu uns, sagte Melissa.

Ja, würd ich gern, sagte er, aber ich muss vor meinem Flug echt ein bisschen versuchen zu schlafen.

Der Hund sprang auf einen Küchenstuhl in seiner Nähe, und er streckte geistesabwesend die Hand aus, um ihn am Kopf zu streicheln. Er fragte Melissa, ob sie den Hund gefüttert hatte, sie sagte nein. Er nahm den Hund auf den Arm und ließ