: Gloria Naylor
: Linden Hills Roman
: Unionsverlag
: 9783293311312
: 1
: CHF 20.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Linden Hills - wer hier lebt, hat es geschafft. Elegante Häuser und perfekt gepflegte Rasen säumen die acht Ringstraßen, die sich den Hügel hinabwinden. Lester und sein bester Kumpel Willie, beide verflucht knapp bei Kasse, verabscheuen die noble Klientel, reinigen aber für ein paar Dollar ihre Auffahrten und Pools. Vorbei an glänzenden Fassaden und übertünchten Rissen arbeiten sie sich Straße für Straße den Hügel hinunter. Bis ganz nach unten, wo Luther Nedeed, das Epizentrum der Macht, ein finsteres Geheimnis hütet. Gloria Naylor enthüllt, wie die Menschen für den American Dream mit ihrer Seele bezahlen und wie das funkelnde Versprechen eines besseren Lebens in schneidende Niedertracht zersplittert.

Gloria Naylor (1950-2016), geboren in New York, studierte Anglistik und African-American Studies. Ihr Debütroman Die Frauen von Brewster Place erschien 1982, weitere Romane und Erzählungen folgten. Ihr vielschichtiges Werk kreist um das Leben Schwarzer, um ihre Kämpfe und Hoffnungen, in einer Welt, in der Weißsein alles bedeutet. Für ihre Werke erhielt sie u. a. den American Book Award und den National Book Award. Sie unterrichtete Literatur und Kreatives Schreiben an verschiedenen amerikanischen Universitäten.

19. Dezember


Das Geschäftsviertel der Wayne Avenue umfasste fünf Blocks im nördlichen Teil der Straße. Es gab eine Bibliothek, eine Reinigung, einen Supermarkt und zwei Delikatessenläden (von denen einer besseres Marihuana als Olivenbrot verkaufte und einen Fahrdienst anbot, wenn der Taxistand geschlossen war). Es gab drei Spirituosengeschäfte und drei kleine Straßenkirchen – der Tabernakel of the Saint grenzte direkt an Harrys Discount-Weinkellerei. Dazwischen waren etliche Immobilienmakler verstreut, in deren verstaubten Schaufenstern bunt gezeichnete Aushänge Gartenwohnungen in Linden Hills anpriesen. Aber die Wohnungen, die sie tatsächlich vermieteten, befanden sich gleich auf der anderen Seite der Wayne Avenue – abzüglich der Gärten und des gepflegten Zustands aus der Zeit, als noch weiße Familien dort gelebt hatten. Diese Gebäude waren die Enklave der Hoffnungsvollen, die aus den überfüllten Regionen von Putney Wayne und den Gassen von Brewster Place geflohen waren. Sie kamen sich jetzt ungemein vorstädtisch vor, zwei mitgenommene Bäume schmückten das Ende eines jeden Blocks, und von ihren rückwärtigen Fenstern aus hatten sie tatsächlich Sicht auf Linden Hills. Die Wayne Junior Highschool mit ihrem großen asphaltierten Schulhof, den Handballfeldern und Basketballkörben nahm einen ganzen Block auf dieser Straßenseite ein. 

Willie und Lester kamen sich drüben beim Schulhof entgegen. Willie hatte gerade die Straße von einem der Spirituosenschäfte aus überquert und sein kleines braunes Päckchen in der Tasche seiner Caban-Jacke verstaut.

»Hey, Shit.«

»Hey, White.«

Willie streckte die linke Hand mit der Handfläche nach oben aus und grinste Lester an.

»Nimms mit der Linken.«

Lester grinste zurück, ließ seine linke Handschuh-Hand auf Willies klatschen und hielt die rechte Handfläche hoch. »Nimms mit der Rechten.«

Das Ritual wurde mit Willies rechtem Handklatscher beendet. Dann die Arme hoch – »Nimm alles, wenns passt« –, vier Hände bildeten zwei Fäuste. Und die Jungs lachten.

So begrüßten sie sich seit ihrer gemeinsamen Zeit auf der Schule, vor der sie jetzt standen. Nach ihrem Abschluss dort hatten sie getrennte Wege eingeschlagen – Lester ging zur Spring Vale High, und Willie trieb sich auf den Straßen rum. Aber auf der Junior High waren sie unzertrennlich gewesen, und aus der Zei