Rupert wollte eigentlich Bagger anfordern, um den Norddeicher Strand auf der Suche nach dem fehlenden Rumpf umpflügen zu lassen. Aber Sylvia Hoppe bat dann doch lieber um Spürhunde. Alles sollte ruhig, sensibel und ohne großes Aufsehen zu erregen vonstattengehen, hatte Büscher verlangt, denn in einer Touristenhochburg zur Hauptsaison machten sich Eisbuden besser als »Leichensuchhunde«, wie er sie nannte. Noch glaubte Büscher, mit Rupert als Einsatzleiter dieser Aktion einen guten Griff gemacht zu haben. Immerhin war es wichtig, den Kollegen Verantwortung zu übertragen.
Sylvia Hoppes hämisches Grinsen deutete Büscher falsch. Er vermutete, dass sie sich übergangen fühlte und nahm sich vor, ihr beim nächsten Mal ebenfalls eine wichtige Aufgabe zu übertragen.
Die Hunde kamen aus Aurich, und so waren Rupert, Sylvia Hoppe und vier Schutzpolizisten kurz vor den eigentlichen Suchkräften in Norddeich. Sie spazierten einmal vom Haus des Gastes zu Diekster Köken und wieder zurück, dann erhielten sie Verstärkung durch eine Diensthundestaffel.
Noch nie war die Schlange am Strandentgeltautomaten so lang gewesen wie an diesem Tag. Einige Touristen glaubten, dass die Kurverwaltung, die lange ruhig zugesehen und großzügig ein Auge zugedrückt hatte, nun rigoros durchgreifen würde. Selbst einige Norder Bürger, die sich bisher standhaft geweigert hatten, für die Strandbenutzung zu bezahlen, holten sich rasch ein Ticket, als sie das Polizeiaufgebot sahen.
Wolfgang Mix aus Bottrop machte mit seiner Familie seit Jahren jeden Sommer hier Urlaub. Schon als Kind war er mit seinen Eltern immer wieder nach Ostfriesland gefahren. Ewig hatten seine Eltern davon geträumt, hier ein Haus zu kaufen und ihren Lebensabend zu verbringen. So weit war es nie gekommen, aber Wolfgang Mix hoffte, dass er es schaffen würde. Er zahlte dafür in zwei Bausparverträge ein und war ein sparsamer Mann.
Über Strandentgeltgebühren konnte er nur lachen: »Die Ostfriesen sind die Nachfahren von Piraten und Strandräubern. Heute überfallen sie keine Leute mehr und murksen auch keinen mehr ab. Die stellen einfach Automaten auf, und wir sollen uns dann selbst beklauen. Das ist die moderne Form der Piraterie. Parkplatzgebühren und Strandgeldautomaten!«
Während die Hundestaffel am Drachenstrand mit der Suche begann, witterte kurz hinter der Absperrung vom Hundestrand ein Dackel aus Oberhausen bereits den gesuchten Rumpf. Aber weil er außerhalb des Hundegeländes so aufgeregt bellte und buddelte, holte sein Frauchen, die alleinerziehende Bäckereifachverkäuferin Irina Schanz, ihren Dackel, den sie ironischerweise Bello getauft hatte, zurück und zwang ihn, dort zu rennen und zu buddeln, wo es für Hunde vorgesehen war.
Jetzt beschnüffelte ihr Bello die Füße von Joachim Faust. Er entsprach genau der Sorte Mann, die in ihrem Leben immer wieder Katastrophen angerichtet hatten: eitel, egoistisch und auf eine oberflächliche Art gebildet. Aber er interessierte sich weder für sie noch für ihren Hund. Er beobachtete die Polizisten.
Ann Kathrin Klaasen war nicht dabei, aber vielleicht hatte er eine Chance, jemanden zu finden, der nicht gut auf die legendäre Serienkillerfahnderin zu sprechen war.
Als der Rumpf schließlich nicht weit vom Hundestrand entfernt gefunden wurde, sah Joachim Faust bei den Ausgrabungen zu. Wolfgang Mix aus Bottrop erkannte ihn und bat ihn um ein Autogramm. Für diesen Zweck hatte Faust immer ein paar Fotos in der Brusttasche.
Genau in dem Moment, als er seinen Namenszug unter das Foto setzte, hatte Faust eine zündende Idee. Hier hatte doch wieder ein neuer Serienkiller zugeschlagen. Er, Joachim Faust, würde Ann Kathrin Klaasen mit dem Gedanken konfrontieren, dass sie solche Menschen anzog wie eine Glühbirne Motten. Ja! Das würde der Kern seiner neuen These werden. Ann Kathrin Klaasen war schlecht für Ostfriesland, weil sie wie ein Magnet auf Schwerverbrecher wirkte.
Sylvia Hoppe telefonierte die Kriminaltechniker herbei. Rupert war sich, obwohl er den Einsatz hier leitete, nicht zu schade, Neugierige auf Abstand zu halten und den Tatort selbst mit Absperrband zu sichern.
Joachim Faust machte Fotos. Rupert versuchte, ihn daran zu hindern.
»Dies ist ein freies Land«, belehrte Joachim Faust Rupert, »ich kann an einem öffentlichen Strand so lange herumstehen, wie ich will, und ich darf auch Fotos machen. Dafür brauche ich keine Genehmigung.«
»Genau«, sagte Wolfgang Mix, »und man muss auch kein Strandentgelt bezahlen, das ist nämlich Betrug!«
Rupert