2. Oktober 1919
Wenigstens etwas Gutes hatte der Besuch seiner Familie – es gab echten Bohnenkaffee. Konstantin trank genüsslich einen großen Schluck. Das Frühstück war wesentlich opulenter als normalerweise. Sonst, wenn nur er und Rebecca frühstückten, gab es Zichorienkaffee. Ihr machte es nichts aus. Aber ihm gelüstete nach echtem Bohnenkaffee. Doch die deutschen Kolonien, in denen Kaffee angepflanzt wurde, waren mit dem Krieg verloren gegangen. Und die Alliierten beschränkten immer noch die Einfuhr von Waren aller Art. Echter Bohnenkaffee war teuer. Aber der Tag würde schon so unangenehm genug werden. Konstantin wollte ihn nicht noch mit einer Diskussion darüber beginnen, warum es nur bürgerlichen Kaffeeersatz gab.
Mama setzte ihre Tasse ab. Für sie gab es natürlich Tee. Es war vielleicht das letzte Überbleibsel ihrer russischen Herkunft. Sie hatte sich nie an das Kaffeetrinken ihrer deutschen Familie gewöhnen können.
So, wie Mama ihre Söhne anblickte, vermutete Konstantin, dass es jetzt losgehen sollte. Sie hatte ihr Frühstück beendet. Und das hatte in früheren Zeiten bedeutet, dass auch ihre Kinder aufzuhören hatten. Demonstrativ biss er in seine Brötchenhälfte, die mit selbst gemachter Pflaumenmarmelade bestrichen war. Vermutlich das Einzige, was seinen Tag heute versüßen würde.
»Ich wäre dann so weit«, warf Mama gereizt in die Runde.
Während Rebecca kaum einen Happen runtergebracht hatte, hatten Nikolaus und Alexander ordentlich zugelangt.
»Hmmm. Wie hatte ich mich auf das Essen auf Greifenau gefreut«, gab Alexander nun von sich. Er hob seine Tasse und ließ sich von Caspers, dem Hausdiener, Kaffee nachschenken. Auch etwas, das er neben dem Bohnenkaffee in seinem jetzigen Leben nur noch selten erfuhr: den Luxus, bedient zu werden.
»Was habe ich dir beigebracht? Man spricht nicht mit vollem Mund!«
»Ich hab schon runtergeschluckt.«
Mama schaute ihren jüngsten Sohn beleidigt an. Sie würde sich nichts vormachen lassen. Aber statt etwas zu erwidern, wandte sie sich an Rebecca.
»Wie wird es in deiner Klasse gehalten, die Erbfolge?«
Alle wussten, warum sie hier waren. Ein schwieriges Thema. Ein Thema, das vermutlich gerade bei allen adeligen Familien Streit und Unruhe verursachte. Es stand nichts weniger an als die Auflösung des Familienfideikommisses. Die Regelungen der adeligen Fideikommisse besagten, dass der Familienbesitz vom jeweiligen Familienoberhaupt nur in einer Art Nießbrauchrecht benutzt werden durfte. Das eigentliche Familiengut mit dem Herrschaftshaus und dem dazugehörigen Land durfte und konnte nicht veräußert werden – bisher. Der größte Teil des Vermögens ging von einer Hand in die nachfolgende über, ohne auf die jeweilige Anzahl der Söhne aufgeteilt zu werden. Das hätte nämlich zur Folge gehabt, dass jedes Gut von Generation zu Generation kleiner geworden wäre. Dem hatte man in alten Feudalzeiten einen Riegel vorgeschoben. Deshalb erbten nicht alle Söhne, sondern nur der älteste. Doch die bürgerliche Regierung der ersten deutschen Republik hatte beschlossen, diese überholte Regelung abzuschaffen. So, wie sie bereits andere Vorrechte des Adels aufgelöst hatte.
Rebecca setzte sich gerade auf. »Ehefrauen und Töchter sind ebenfalls erbberechtigt, natürlich noch nicht in gleichem Maß.«
Feodora schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Na, vermutlich ist es für euch ja auch nicht wichtig, wer die alten Sofas bekommt.«
Mit zusammengepressten Lippen überlegte Rebecca, wie sie diesen Affront kontern wollte. Sie atmete einmal tief durch. »Ich hätte schon gerne das Porzellan meiner Großmutter.«
»Das Porzellan? Sammeltassen?« Es klang genauso abschätzig, wie Konstantins Mutter beabsichtigt hatte.
Rebecca wusste, wie wichtig der heutige Tag für ihre Zukunft war, deshalb schluckte sie jede Erwiderung hinunter.
»Na gut.« Konstantin stand auf. »Nikolaus, Alexander, dann lasst uns rüber ins Arbeitszimmer gehen.«
»Ich werde natürlich dabei sein.« Feodora machte Anstalten aufzustehen. Sofort war Caspers an ihrer Seite und zog den Stuhl zurück.
»Dann kennst du dich mit den Gesetzen der Fideikommisse aus?« Sein letzte