Kapitel
Die Teusin lehnte beim Hereinkommen Besen und Staubwedel an den Altar. Sie hatte sich mit dem Einweichen der Halbjahreswäsche aufgehalten. Zum Angelusläuten durchquerte sie die Kirche, hinkte in der Eile stärker und stieß gegen die Bänke. Neben dem Beichtstuhl hing der Strick vom Gewölbe nieder, seine kahle Schäbigkeit lief in einen starken, abgegriffenen Knoten aus. Mit aller Kraft und in gleichmäßigem Zug hing sie sich an ihn, dann ließ sie sich mitschwingen, wogte in ihren Röcken hin und her, mit verrutschter Haube, das breite Gesicht blutbedrängt. Nachdem sie ihre Haube mit einem leichten Klaps zurechtgeschoben hatte, ging die Teusin außer Atem zurück, um vor dem Altar zu fegen. Hier setzte sich der Staub jeden Tag hartnäckig fest, zwischen den schlechtgefügten Dielen der Estrade. Mürrisch und erbost stöberte der Besen in den Ecken. Dann nahm sie die Decke von der Altarplatte und bemerkte geärgert, daß das große Übertuch, an zwanzig Stellen bereits ausgebessert, gerade in der Mitte neu durchgewetzt sei; das doppeltgefaltete Untertuch war ebenfalls so dünn und fadenscheinig, daß man den im bemalten Altarholzwerk eingelassenen geweihten Stein sehen konnte. Sie entstaubte das alte, vergilbte Leinenzeug und fuhr heftig mit dem Federbesen am Altaraufbau entlang, gegen den sie die liturgischen Tafeln aufrichtete.
Hierauf bestieg sie einen Stuhl und entfernte die gelbkattunenen Schutzhüllen vom Kruzifix und den zwei Armleuchtern. Das Kupfer erwies sich fleckgetrübt.
»Ja, ja,« brummelte die Teusin vor sich hin, »die können das Putzen schon vertragen. Mit Tripel müßten sie bearbeitet werden.« Dann machte sie sich auf den Weg nach der Sakristei, hinkend und fast auf einem Bein, unter Gliederverrenkungen und einem Gestolper zum Steinerweichen, holte das Meßbuch, legte es geschlossen auf das Pult zur Seite der Epistel, die Schnittfläche der Altarmitte zugekehrt. Zwei Kerzen wurden entzündet. Indem sie ihr Kehrzeug fortschaffte, ließ sie den Blick ringsum wandern, um sich zu versichern, daß der Haushalt des lieben Gottes wohlbestellt sei. Die Kirche schlief; einzig der Glockenstrick neben dem Beichtstuhl schwang noch von der Wölbung zum Steinboden nieder in biegsamer Längsbewegung.
Gerade betrat der Abbé Mouret die Sakristei, ein kleines kaltes Zimmer, das nur ein Gang vom Eßzimmer trennte.
»Guten Tag, Herr Pfarrer,« sagte die Teusin, ihre Geräte abstellend. »Ah, heut' morgen haben Sie Faulpelz gespielt! Wissen Sie, daß es schon Viertel nach sechs ist?« Und ohne dem lächelnden jungen Geistlichen Zeit zur Antwort zu lassen, fuhr sie fort: »Ich muß mit Ihnen zanken. Wieder ein Loch in der Decke. Das ist Unvernunft! Wir haben nur eine zum Auswechseln, und seit drei Tagen verderb' ich mir die Augen beim Stopfen, und der arme Jesus wird nackt und bloß sein, wenn Sie so weitermachen.«
Immer noch lächelte der Abbé Mouret. Fröhlich sagte er: »Jesus benötigt gar nicht so viel Wäsche, gute Teuse; ihm ist allzeit warm, und ein fürstlicher Empfang ist immer ihm bereitet, wenn man ihn innig liebt.« Dann fragte er, zu einem kleinen Röhrbrunnen gehend:
»Ist meine Schwester schon auf? Ich habe sie noch nicht gesehen.«
»Fräulein Desiderata ist schon längst unten,« antwortete die Dienerin, vor einem alten Küchenkasten kniend, der die geweihten Kleider barg. »Sie ist schon bei ihren Hühnern und Stallhasen … gestern erwartete sie Kücken, die nicht auskriechen wollten. Die Aufregung können Sie sich denken!« Sie unterbrach sich mit der Frage: »Das goldene Meßgewand, nicht wahr?«
Der Priester, der sich, ein Gebet auf den Lippen, die Hände gewaschen hatte, nickte zustimmend mit dem Kopf. Die Pfarrei besaß nur drei Meßgewänder, ein violettes, ein schwarzes und eines aus Goldstoff. Des letzteren bediente man sich auch an den Tagen, wo weiß, rot oder grün vorgeschrieben war; so gelangte es zu außerordentlichem Ansehen, und die Teusin nahm es voller Sorgfalt aus dem mit blauem Papier belegten Gefach, wohin es nach jeder Zeremonie gebreitet wurde, legte es auf den Kasten und entfernte vorsichtig die schützenden Leinenstreifen von den Stickereien. Ein Goldlamm schlummerte auf goldenem Kreuz, von breitem Goldgestrahl umgeben. Das in den Falten berstende Gewebe franste in kleinen Büscheln aus. Die erhaben gestickten Verzierungen zergingen und lösten sich auf. Im Haus gab es seinethalben eine ständige Besorgnis, ängstliche Fürsorglichkeit angesichts dieser fortschreitenden Auflösung. Fast täglich mußte der Pfarrer es anlegen. Und wie es ersetzen, wie die drei Gewänder beschaffen, deren Amt es versah, wenn die letzten